Karlsfeld:Turner bestreitet, Flüchtlinge ausgenutzt zu haben

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Der Gremium glaubt dem Bündnis-Gemeinderat nicht und erhebt neue Vorwürfe. CSU und SPD fordern seinen Rücktritt.

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Die Gemeinderatssitzung am Dienstagabend gleicht einem Scherbengericht über den Karlsfelder Bündnis-Gemeinderat Andreas Turner. Vertreter von CSU und SPD fordern ihn auf, sein Amt umgehend niederzulegen. "Sie stehen mit dem Rücken zur Wand", sagt SPD-Fraktionsvorsitzende Hiltraud Schmidt-Kroll. "Ich fordere Sie auf, dieses Gremium zu verlassen." Viele der mehr als 50 Zuschauer im rappelvollen Sitzungssaal applaudieren. Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) bittet die Gäste, von solchen öffentlichen Bekundungen Abstand zu nehmen, der Gemeinderat wolle "vernünftig diskutieren". Bei nicht genehmigten Rodungsarbeiten soll Turner Flüchtlinge ohne Arbeitsgenehmigung beschäftigt und unzureichend oder gar nicht bezahlt haben.

Über weite Strecken ähnelt die Sitzung einem Tribunal. CSU-Gemeinderat Stefan Handl spricht von "Gesetzesverstößen von erheblichem Umfang". Sein Ton ist sachlich, so redet der Kriminalhauptkommissar wahrscheinlich auch im Berufsleben. Er anerkennt sogar ein Zeugnisverweigerungsrecht des Angeklagten. "Ich habe Verständnis, wenn Sie sich hier in der Öffentlichkeit nicht selbst belasten wollen", sagt er zu Turner.

Ein eigenes Gärtchen als Bezahlung

Wochenlang war der umstrittene Kommunalpolitiker abgetaucht. Er selbst gibt dafür berufliche und private Termine an. Aber jetzt ist er da, wie aus dem Ei gepellt, glattgebügeltes, fliederfarbenes Hemd, etwas blass, nur die nervösen Hände, die seine Stellungnahme halten, verraten eine gewisse Anspannung. Die Botschaft seiner zweiseitigen Einlassung: "Ich habe nichts Unrechtes gemacht und habe nur versucht, mit meinen Möglichkeiten zu helfen." Ihm sei es bei den vom Landratsamt gestoppten Bauarbeiten an der Wehrstaudenstraße darum gegangen, für zehn Flüchtlinge "eine Arbeit und eine Wohnung zu finden und sie so gut wie möglich zu integrieren". Geplant gewesen sei eine neue Kleingartensiedlung, die Flüchtlinge bauen und später auch selbst nutzen sollten, pachtfrei. In Absprache mit dem Eigentümer - seinem Geschäftspartner und Jugendfreund, dem Immobilienverwalter Markus Fleischmann aus Passau, - habe er den Auftrag erhalten, Flucht- und Verkehrssicherungswege freizuschneiden.

Seine Recherchen hätten ergeben, dass das Gebiet Bahnland und nicht Hoheitsgebiet der Gemeinde Karlsfeld sei, behauptet Turner, ferner, dass die Errichtung der Gartenhäuser nicht habe genehmigt werden müssen, dass die Fläche am Bahndamm "aus Naturschutzgründen nicht besonders schützenswert" sei und, dass Flüchtlinge, wenn sie dort Gartenarbeit verrichteten, keine Arbeitsgenehmigung bräuchten, "solange sie dafür nicht entlohnt werden".

Für die Errichtung der Lauben, zu der es wegen des Baustopps der Unteren Naturschutzbehörde nicht mehr kam, hätte er die Flüchtlinge später schon bezahlt. Vereinbart gewesen seien, "je nach Eignung und Ausbildung" 8,50 oder 9,50 Euro. Drei der zehn eingesetzten Flüchtlinge hätten keine Arbeitserlaubnis gehabt. Mit ihnen sei vereinbart gewesen, dass sie "unentgeltlich in ihrem sozusagen eigenen Garten" arbeiteten, bis ihre Arbeitsgenehmigung eintreffe. Alle Flüchtlinge mit Arbeitserlaubnis habe er "ordnungsgemäß angemeldet, bezahlt und wieder abgemeldet", bei den anderen sei es um maximal zehn bis 50 unbezahlte Arbeitsstunden gegangen.

"Sie verkaufen uns für blöd."

Dann kehrt Turner heraus, was er alles für die Flüchtlinge getan habe. "Ich habe ab Januar eine kostenlose Vier-Zimmer-Wohnung organisiert, in der gekocht und übernachtet werden konnte." Weiter: "Ich habe circa 300 Stunden meiner Freizeit geopfert und auch einen mittleren vierstelligen Betrag investiert, ohne auch nur irgendwas an dem Projekt verdienen zu können." Turners Selbstdarstellung als Wohltäter löst im Gemeinderat einen Sturm der Entrüstung aus. "Mein Entsetzen ist jetzt noch größer geworden", sagt CSU-Fraktionssprecher Bernd Wanka. "Sie verkaufen uns für blöd." Was Turner abliefere, tauge weder als rechtliche noch als moralische Erklärung. "Ich werde mich aufs Äußerste von Ihnen distanzieren." Auch CSU-Gemeinderat Johann Willibald zeigt sich fassungslos: "Mir fehlen die Worte über so viel Dreistigkeit und kriminelle Energie. Man müsste eigentlich einen Strafantrag stellen." Aus seiner Abneigung gegen Turner macht er keinen Hehl. "Ich hoffe, dass Sie mal richtig auf die Nase fallen."

SPD-Fraktionschefin Hiltraud Schmidt-Kroll, die den Punkt mit einem Antrag auf die Tagesordnung gesetzt hat, zeigt sich von den Ausführungen Turners "gelinde gesagt, total entsetzt". Sie glaube ihm kein Wort. Ihr lägen Aussagen vor, die denen Turners "total widersprechen". Danach habe Turner Flüchtlinge auch auf Baustellen in München und Passau vermittelt, wo sie ohne Arbeitsschutzkleidung arbeiteten, sagt Schmidt-Kroll. Sie habe entsprechende Videoaufnahmen gesehen, die das belegten. Der Stundenlohn sei noch um zwei Euro gedrückt worden - für das Essen. Dieser fragwürdige Arbeitseinsatz gehe schon seit sieben Monaten. Offenbar sei das umstrittene Projekt an der Wehrstaudenstraße nur "die Spitze des Eisbergs".

Laut Schmidt-Kroll haben mehrere Flüchtlinge angegeben, Turner habe gedroht, er werde dafür sorgen, dass sie in ihre Heimat abgeschoben werden, wenn sie sich beim Landratsamt beklagten oder zur Polizei gingen, er sei mächtig. Das hätten viele geglaubt, solche Willkürakte von Politikern seien sie selbst aus ihren Herkunftsländern gewohnt, sagt Schmidt-Kroll. Turner verfolgt die Schilderungen stirnrunzelnd. Und schweigt. Am Ende der Sitzung wirft Peter Schuri vom Helferkreis Turner in aller Öffentlichkeit vor, er habe einem Flüchtling in der Traglufthalle gedroht, ihm die Kehle durchzuschneiden, wenn er sich weiter über ihn beschwere. Der Gemeinderat bietet Schuri ein klärendes Gespräch an. Der geht nicht darauf ein, Schuri glaubt dem Flüchtling. "Ich kenne den Mann schon seit einem Jahr."

Landratsamt sieht ökologischen Wert der Flächen

Die Auskünfte des Landratsamt sind nicht geeignet, Turner zu entlasten. Die Behörde kann zwar bestätigen, dass ein Flüchtling von ihm ordnungsgemäß angemeldet war und entsprechend bezahlt wurde, aber eben nur einer. Aus Sicht der Umweltabteilung sind auch die Rodungsarbeiten "naturschutzfachrechtlich sehr kritisch zu beurteilen". Die verwilderten Flächen entlang der Bahn seien wichtige Teillebensräume und gerade im Abschnitt zwischen Karlsfeld und Dachau von "hoher ökologischer Wertigkeit", unter anderem böten sie der Zauneidechse Unterschlupf. Dass zur Sicherung der Verkehrssicherheit einige Rückschnitte notwendig gewesen seien, räumt die Behörde ein. Die Rodung von 2000 Quadratmetern Fläche sei dadurch allerdings nicht zu rechtfertigen.

"Das ist ein Vorgang der ungeheuerlich ist", sagt der Bürgermeister, "das fällt auf den gesamten Gemeinderat zurück." Besonders ärgert er sich über Bündnis-Fraktionssprecherin und Umweltreferentin Mechthild Hofner. Als es um die Fällung von acht Bäumen an der Krenmoosstraße ging, habe sie sich fast daran ketten wollen, "und jetzt, wo es um 2000 Quadratmeter geht, sagen Sie nicht ein Wort dazu!" Hofners Statement fällt dürr aus. "Die Vorwürfe berühren und erschrecken mich." Sollten sie sich bewahrheiten, sei das natürlich ungeheuerlich, "dann distanzieren wir uns auch". Wenn alle Tatsachen auf dem Tisch lägen, werde sich die Fraktion "zeitnah" äußern. Viele hatten einen Ausschluss Turners erwartet.

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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