Inklusion:Abgestellt statt angestellt

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Die Arbeitnehmerorganisation der CSU beschäftigt sich bei einer Podiumsdiskussion in Karlsfeld mit der Frage, wie es um die Teilhabe Behinderter am Arbeitsleben aussieht. Die Antwort ist nicht sehr ermutigend

Von Walter Gierlich, Karlsfeld

Die Arbeitslosenquote in Deutschland lag im Juni bei 5,5 Prozent. Eigentlich eine sehr erfreuliche Zahl, aber von den Menschen mit Behinderung haben mehr als 13 Prozent keine Beschäftigung. Zudem sind die meisten von ihnen, die eine Arbeit haben, nicht in einer Firma, sondern in einer Behindertenwerkstätte beschäftigt, sodass sich für Nick Lisson die Frage stellt, wie weit die angestrebte Inklusion auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich erfüllt ist, zu der sich Deutschland durch die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet hat. Er merkt auch an, dass sich Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten von der Pflicht, fünf Prozent Behinderte einzustellen, "freikaufen" können.

Lisson ist Moderator einer Podiumsdiskussion bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Kreisverbände Dachau, Fürstenfeldbruck und Erding der CSU-Arbeitnehmerorganisation (CSA) im Karlsfelder Seegarten. Die Diskussion ist Teil einer CSA-Reihe mit dem Titel "Soziale Gerechtigkeit". Da gehört Lissons Frage nach dem Grad der tatsächlich erreichten Inklusion natürlich dazu.

Für den Landtagsabgeordneten und CSA-Landesvorsitzenden Joachim Unterländer ist die Antwort leider ein klares Nein: Man könne nicht zufrieden sein, "es ist ein ungelöstes Problem". Ziel sei es, möglichst viele Menschen mit Behinderung auf den regulären Arbeitsmarkt zu bringen. Dazu ist es nach seiner Ansicht notwendig, "das Bewusstsein bei den Betrieben zu stärken". Das Bundesteilhabegesetz hält er für einen guten Ansatzpunkt dazu.

Wesentlich skeptischer ist Herbert Sedlmaier, der Behindertenbeauftragte des Landkreises Fürstenfeldbruck, obwohl er selbst als Schwerbehinderter seit 38 Jahren einen Vollzeit-Job hat. Den habe er "dank Vitamin B" bekommen, sagt er und bezweifelt, ob er damals ohne Beziehungen eingestellt worden wäre. Arbeitgeber würden stets gesetzliche Regelungen ins Feld führen, die ihnen die Einstellung von Behinderten unmöglich machten. Er nennt beispielsweise mehr Urlaub oder besseren Kündigungsschutz, der nach seiner Ansicht aber "großenteils nur auf dem Papier steht".

Irmgard Badura, die Behindertenbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, sieht eine positive Entwicklung, steigt doch die Beschäftigung von Menschen mit Handicap, was nach ihrer Meinung aber auch mit der demografischen Entwicklung zu tun hat. Bei Neueinstellungen jüngerer Behinderter hapere es hingegen weiterhin, besonders in kleinen und mittleren Unternehmen. "Freikauf" wie Lisson möchte sie die Ausgleichsabgabe von 125 Euro pro Monat und unbesetzter Stelle nicht nennen, zumal das Geld in Fördermaßnahmen für Behinderte zurückfließe.

Josef Mederer aus Altomünster ist als Bezirkstagspräsident von Oberbayern Chef der Behörde, die für die überörtliche Sozialhilfe und damit für die Eingliederungshilfe von Menschen mit Behinderung ist. Er kann darauf verweisen, dass seine Behörde die Beschäftigungsquote deutlich übererfüllt, arbeiten doch beim Bezirk 13 Prozent Behinderte. Er hält nicht viel von der Forderung nach einer Erhöhung der Ausgleichsabgabe, wie sie auch Sedlmaier erhebt. Betriebe, die keine Behinderten einstellten, hätten nun mal Angst, dass diese "leistungsschwächer" seien: "Da muss ich den Firmen einen Ausgleich geben."

Für eine stufenweise Anhebung der Abgabe spricht sich Badura aus, alternativ für eine Prämie bei der Einstellung von Behinderten. Unterländer betont zwar, dass eine Anhebung in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation kein Problem darstellen dürfte, "aber ich sehe keinen politischen Willen dafür".

Einen "Minderleisterausgleich", wie ihn Mederer als mögliche Lösung sieht, hält der Behindertenbeauftragte Sedlmaier bestenfalls "für ein Instrument, um überhaupt einmal zu beginnen, aber zufriedenstellen tut mich das nicht". Um Menschen mit Handicap in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen und zugleich dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müsse in den Schulen und bei der Ausbildung mit Inklusion begonnen werden.

Klagen auf dem Podium: Joachim Unterländer, Irmgard Badura, Nick Lisson, Josef Mederer und Herbert Sedlmaier. (Foto: Toni Heigl)

Manche Behinderte seien trotz aller Anstrengungen schwierig in Ausbildung zu bringen, erklärt allerdings Badura. Und Mederer sieht mit Besorgnis, dass in Betrieben immer mehr einfache Tätigkeiten, die bisher von Behinderten ausgeübt wurden, wegfallen: "Die Hälfte der Zugänge in Behindertenwerkstätten kommen aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt", weiß er zu berichten. Versuche, sie wieder dorthin zurückzubringen, seien wenig aussichtsreich. Zumal, wie er sagt, "manche Dinge zu sehr reglementiert sind".

Sedlmaier legt hier gleich nach und erklärt: "Wenn die Agentur für Arbeit mit im Boot sitzt, ist es ab diesem Moment nicht mehr einfach." Die Mitarbeiter dort seien zu wenig informiert, die Angebote passten nicht, "hier besteht dringender Verbesserungsbedarf." Weniger bei den Arbeitsagenturen als eher bei den Jobcentern, die für Langzeitarbeitslose oder Behinderte direkt nach der Ausbildung zuständig seien, sieht Badura das Problem der zu geringen Information.

Letztlich hält sie es für das A und O, die Arbeitgeber dazu bringen, mehr soziales Engagement zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen. Da pflichtet ihr der Fürstenfeldbrucker Behindertenbeauftragte Sedlmaier als Mann der Praxis bei: "Wenn Inklusion gelingen soll, müssen wir das Bewusstsein dafür stärken."

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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