Hoftheater Bergkirchen:Und ewig lockt das Geld

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Das Hoftheater Bergkirchen spielt Johann Nestroys Stück "Der Zerrissene" als opulente, rasante Komödie mit viel Musik. In seiner Inszenierung spart Herbert Müller auch nicht an aktuellen Bezügen

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Hier ist Wilk mit dem Nebenbuhler Gluthammer. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Gibt es das noch? Ein nicht mehr ganz taufrischer Mann im bequemen Sessel, umschwirrt und umschmeichelt von drei reizend-aufreizend gekleideten Frauen? Diese Playboy-Allüren sollten doch längst der Vergangenheit angehören. Doch gemach. Die me-too-bewegte Betrachterin dieser Szenerie hat keinen Grund, in Schnappatmung zu verfallen. Da ist keine Reality Show eines Trash-Senders im Gange, vielmehr eine höchst amüsante, rasante Komödie von Johann Nestroy. Sie heißt "Der Zerrissene", wurde 1844 uraufgeführt und trägt den Untertitel "eine Posse mit Gesang". Am vergangenen Donnerstag war die gelungene und umjubelte Premiere in der Mehrzweckhalle Lauterbach, eine der beiden Spielstätten des Hoftheaters Bergkirchen im diesjährigen Festivalsommer des Ensembles. Die zweite ist übrigens die Freilichtbühne auf dem benachbarten Areal der Alten Schule, sofern es einen Sommerabend ohne Regengüsse geben sollte.

Wilk wird belagert vom Trio Infernale (Jessica Dauser, Annalena Lipp und Annette Thomas). (Foto: Niels P. Jørgensen)

Warum Nestroy? Diese Frage kann sich nur stellen, wer das Faible von Hoftheater-Chef Herbert Müller für den genialen Dichter und Komödianten noch nicht kennt. Hat doch Nestroy nur zu gerne die eher dunklen Seiten der spießbürgerlichen Biedermeier-Gesellschaft entblößt und sie - gezwungen durch die strengen K.u.k-Zensur - in nur äußerlich harmlos daher kommenden Possen verarbeitet. Was wiederum für Herbert Müller eine Steilvorlage ist, der gerne, gut und oft diverse alte Schinken bearbeitet und gründlich entstaubt. So auch in diesem Fall. Aus den drei männlichen Speichelleckern, die die Entourage des reichen, aber von Ennui geplagten Frühkapitalisten Herrn von Lips (Ansgar Wilk) bilden, macht Müller ein weibliches Trio Infernale bestehend aus Jessica Dauser als Hanna von Stifler - eine nicht wirklich feine Dame der Gesellschaft - , Annalena Lipp als Hanna von Sporner - eine arrogant-dominante Reiterin - und Annette Thomas als Hanna Wixer - die angeblich beste Freundin von Lips. Die munter vor sich hin tänzelnden, singenden, trinkenden und flirtenden Frauen verfallen jedoch in Schockstarre, als sie von den jüngsten Plänen des Objekts ihrer Begierde erfahren. Von Lips will nämlich die nächste Frau heiraten, die ihm begegnet. Das ist ausgerechnet Madame Schleyer, eine Witwe mit etwas obskurer Vergangenheit (Julia Rieblinger). Hat sie doch vor einigen Jahren den unbedarften Schlosser Gluthammer (Tobias Zeitz) um sein Geld gebracht - was der arme Kerl immer noch nicht wahrhaben will. Er ist davon überzeugt, dass seine Mathilde von irgendeinem Bösewicht gefangen gehalten werde. Als er in der Möchtegern-Verlobten des Herrn von Lips seine entschwundene Liebe erkennt, nimmt das Verhängnis seinen urkomischen Lauf: Es kommt zu einer grandiosen Rauferei zwischen den beiden Kontrahenten, sie stürzen in einen Bach - und halten sich jeweils für den Mörder des anderen. Nur gut dass der rettende Engel nicht weit ist: Von Lips' liebreizende Patentochter Kathi (Sarah Giebel) setzt sich mit Charme und Chuzpe gegen ihren grantigen Vormund Krautkopf (Jürgen Füser) und dessen Ambitionen auf sie und vor allem das von Lips'sche Vermögen durch.

Wie und warum sollte man sich unbedingt ansehen. Denn dieser Zerrissene ist echtes Sommertheater: Herrliche, aufwendige Kostüme und ein Bühnenbild inklusive röhrendem Hirsch von Ulrike Beckers sind der Background für eine lebens-, lustige und leidenschaftspralle Geschichte voll bemerkenswerter - und manchmal gar nicht so lustiger - Sprüche, ganz egal, ob sie von Nestroy selbst oder von Müller stammen, der in diversen Nebenrollen ganz in seinem Element ist. Müller spart nicht mit aktuellen Bezügen, sei es in Sachen Wahlkampfversprechen oder Strangulierung der Kulturlandschaft mittels nicht nachvollziehbarer Verordnungen.

Ansgar Wilk als Herr von Lips mit Madame Schleyer (Julia Rieblinger (Foto: Niels P. Jørgensen)

Doch was wäre eine Nestroy-Inszenierung ohne Musik? Das eigens für den Festivalsommer gegründete "Schubert-Hummel-Quintett" unter der Leitung von Petra Morper inspiriert am Premierenabend das Ensemble zu wahren Höhenflügen und bringt das Publikum so in Schwung, dass am Ende sogar zwei Frauen ein Tänzchen wagen. Susanne Morper (Geige), Eugen Tluck (Viola), Michelle Keller (Cello), Martin Ziegenaus (Kontrabass) und Petra Morper (Klavier) spielen mit ebenso großem Können und spürbarer Freude am Auftritt wie ihre Schauspielkolleginnen und Kollegen. Es gibt Fetzen von "O du lieber Augustin", Tänzerisches oder Sehnsuchtsvolles, beglückende Zwischenmusiken oder temperamentvolle Lied- und Couplet-Begleitung von Franz Schubert, Adolf Müller, Johann Nepomuk Hummel und weiteren Komponisten der Biedermeier-Zeit. Mit anderen Worten: Quintett und Darsteller machen im wunderbar aufeinander abgestimmten Miteinander "Der Zerrissene" zu einem stimmigen Gesamtkunstwerk, das Lachmuskeln und Verstand gleichermaßen in Bewegung hält.

© SZ vom 17.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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