Hoftheater Bergkirchen:"Es ist so schwül, so dumpfig hie"

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"Das war schon sehr begabt": der schläfrige Regisseur (Tobias Zeitz) und seine überambitionierte Darstellerin (Chiara Nassauer). (Foto: Toni Heigl)

Die Schauspieler des Zimmertheaters Uffing lassen das Bergkirchener Publikum vor Lachen kaum zu Atem kommen, so grandios scheitert im Stück "Gretchen 89 ff." ihr Versuch, den "Faust" aufzuführen

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

Influencerinnen und ihre männlichen Entsprechungen sind heutzutage aus dem medialen Geschehen nicht mehr wegzudenken. Schaut man sich jedoch von ihnen produzierten Filmchen an, wünscht man sich bisweilen dringend, die sich selbst produzierenden Damen und Herren hätten wenigstens die Basics in Sachen darstellende Künste und Regie gelernt. Als Lehrende müssen ja nicht unbedingt die Anfängerin oder die Diva, der Schmerzensmann, der alte Haudegen, der Streicher oder das Tourneepferd infrage kommen. Denn mit all diesen Typen ist nicht wirklich gut Kirschen essen.

Das zeigte am vergangenen Sonntag das Zimmertheater Uffing im Rahmen von "Servus Bergkirchen", dem vom Hoftheater organisierten Festspielsommer im Landkreis Dachau. Auf dem Programm stand "Gretchen 89 ff.", eine Komödie von Lutz Hübner. Hier dreht sich alles um eine der Schlüsselszenen in Goethes Faust, inklusive der Ballade vom "König in Thule" und dem berühmten "Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen". Hübner ist Autor, Schauspieler und Regisseur. Man darf also angesichts dieser Dreierkonstellation getrost davon ausgehen, dass er seinen Faust kennt. So wie ihn Regisseurin und Darstellerin Chiara Nassauer in der Rolle der Schauspielerin und Hoftheaterensemble-Mitglied Tobias Zeitz in der des Regisseurs kennen.

Ob Dichterbolide Johann Wolfgang von Goethe deren diverse Adaptionen von Gretchens Entdeckung eines Schatzkästleins in ihrem Schrank goutiert hätte, lässt sich naturgemäß nicht verifizieren. In der wetterbedingt zur Spielstätte mutierten Lauterbacher Mehrzweckhalle jedoch krümmte sich das Publikum vor Lachen. Warum? Weil Chiara Nassauer und Tobias Zeitz mit so viel Witz und Wonne in ihre diversen Rollen schlüpften, dass von der ansonsten angesagten weihevollen Stimmung angesichts des unsterblichen Herrn Faust und der armen Margarete rein gar nichts mehr zu spüren war.

Wie etwa der alte Haudegen von Regisseur sich in seinem Stuhl fläzt und in seligen Erinnerungen an längst verblichene Theatergrößen schwelgt, zwischendurch schnarchend ein Schläfchen hält und völlig desinteressiert die Mühen der vorsprechenden Schauspielerin mit einem "Das war schon sehr begabt" kommentiert, ist einfach umwerfend. Und wird getoppt, wenn Zeitz als "Tourneepferd" den "Wiener mit starker Fettleibigkeit, Neigung zum Bluthochdruck, Moschusduft und Cognac in der Hand, der die jungen Dinger abschleppt" mit Glitzerjackett, Hütchen, Sonnenbrille und Wiener Schmäh zur Hochform aufläuft. Dass er sich für seine Übergriffigkeit eine saftige Watschn einfängt, steigert das Vergnügen noch einmal. Mindestens so komisch ist Tobia Zeitz als "Streicher", der Gretchens Monolog und ihrem Sinnestaumel (der übrigens im wichtigsten Requisit, dem gelben "Faust"-Reclamheft auf Seite 79 nachzulesen ist), "eine Atmosphäre harmonischer Ratlosigkeit" schaffen will und die Szene brutalstmöglich kürzt. Geht noch mehr? Ja, mit einem Freudianer von Regisseur, der sich auf dem Boden wälzt und "den Dichter des Leibes" zum Vorschein bringen will, weshalb sein Gretchen im Domina-Outfit auftreten soll. Was diese dankend ablehnt.

Daran ist bei der Diva im Pelzmantel naturgemäß nicht zu denken. Sie ist mit buchstäblich großer Geste "immer empört, immer das Opfer eines Komplotts". Sie hat vom Scheitel bis zur Sohle ihren großen Auftritt längst verinnerlicht, kommandiert den bedauernswerten Jungregisseur mit scharfem Tonfall rum, erklärt ihm, dass zum Kaffeekochen der Regieassistent zuständig sei und spielt ihre Rolle so, wie sie sie vermutlich schon seit Jahrzehnten gespielt hat. Da genügt eine hochnäsige Handbewegung - und alle Regieeinfälle verschwinden auf Nimmerwiedersehen.

Die Anfängerin hingegen - in gewagter Kombination von Militaryjacke und Gardinenstoff-Tüllrock - überidentifiziert sich mit ihrer Rolle, hat gefühlte tausend Ideen im Kopf, wie man sie sprachlich und darstellerisch aufpeppen könnte und steht überhaupt total aufs Improvisieren. Was den geduldigen Regisseur ziemlich nervt.

Wie oft in dieser gekürzten Version der Hübner'schen Komödie Chiara Nassauer "Es ist so schwül, so dumpfig hie" mal im Stakkato heraussprudelt, mal deklamiert, mal vor sich hin flüstert, weiß wohl nur sie selbst. Sicher ist jedoch, dass dieser Blick hinter die Kulissen der Theaterwelt so herzerfrischend inszeniert und gespielt ist, dass man sie mit größtem Vergnügen noch einmal anschauen möchte.

© SZ vom 15.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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