Mitten in Dachau:Steckerlfisch im Buchstabenkleid

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Der Fisch und die Zeitung teilen ein Schicksal: Erst ist das Interesse groß, dann geht es den Bach hinunter. (Foto: Annette Sandner)

Warum die Grillsaison mit dem Interesse an Tageszeitungen korreliert.

Von Jessica Schober, Dachau

Der Fang im Fischweiher war ergiebig, die Forellen starren aus erbleichten Augen in den Rauch. Sie sind längst mit offenen Mündern aufgespießt und brutzeln überm Grill. Ob sich die Salmoniden ein anderes Ende für ihr Leben erträumt hatten, kann man nicht mehr erfragen.

Gleich wird die Großfamilie Gräten pulen und Bäckchen filetieren, schweigendes Mampfen wird den Genuss begleiten, während man selbst an einer Breze kaut. Doch zuvor muss der Fisch als Ganzes noch vom Stock herunter und sicher auf dem Teller landen. Und auch wenn im Non-Food-Segment einschlägiger Kaffeeröstereien allerlei Behelfswerkzeug käuflich zu erwerben ist (Ananasschäler, Tischdeckenfestzwacker, Hundespielzeug, das aussieht wie analplugähnliches Sexspielzeug), so ist doch - nach Wissenstand der Autorin - noch kein Besteck erfunden, das einem Steckerlfischentstocker gleichkäme.

Deshalb ist, und damit sind wir beim Thema dieser auf Papier gedruckten Glosse angekommen, die Steckerlfischsaison zugleich auch immer Zeitungssaison. Denn was eignet sich besser als diese herrlich opulenten Papierseiten im so genannten Nordischen Format, um den Fisch zu ummanteln, ihn in seinem Buchstabenkleid vom Stocke zu pflücken, ihn sodann auf dem Teller zu platzieren und zu verschlingen?

"Man nannt ihn auch den Aalphabet"

Die fischfettige Zeitung hat damit endlich einen anderen Daseinsgrund als das läppische Gelesenwerden gefunden. Die kleinformatige Konkurrenz des Mitbewerbers bietet da kaum ausreichend Angriffsfläche. Es soll ja sogar Lesende - oder etwa Analphabeten? - geben, die in der Redaktion dieser Zeitung gezielt nachfragen, wie es denn gerade aussehe beim Altpapierbestand, weil, nun ja, es gebe bald wieder Steckerlfisch. An dieser Stelle muss jedoch abgewehrt werden.

Auf Bestellung sind hier keine bedruckten abgeholzten Baumscheiben zu haben, um darin Flossentiere zu verwahren. Wer hingegen Fische und Buchstaben gleichermaßen liebt, dem seien die Gedichte von Arezu Weitholz ans Herz gelegt. Hier ein Köder: "Es war einmal ein Fisch im Meer, der liebte die Buchstaben sehr. Er zählte sie von früh bis spät, man nannt ihn auch den Aalphabet". Doch zurück zum familiären Fischfest. Als dort die Aktenvernichtung am Grill beginnt, ruft die Hausherrin hektisch: "Ist das etwa die Wochenendausgabe der SZ?!" Doch da ist es schon zu spät. Dem Fisch geht es wie der Zeitung an sich: Erst ist das Interesse groß. Und dann geht es den Bach hinunter. Wo immer Sie diese Zeilen lesen: Wir wünschen Ihnen einen guten Appetit.

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