Gericht in Dachau:Bremsmanöver

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Zwei junge Männer sollen sich in Dachau-Ost ein illegales Autorennen geliefert haben. Vor Gericht schweigen sie. Und weil Zeugen sich an den Tatabend nur bruchstückhaft erinnern wollen oder fehlen, wird der Prozess vertagt

Von Jacqueline Lang, Dachau

Nachdem der erste Zeuge gehört worden ist, sagt Richter Calame mit Blick auf die Anklagebank sichtlich genervt: "Jetzt passiert genau das, was ich unbedingt vermeiden wollte: Jetzt grillen wir ihre Freunde." Auf der Anklagebank sitzen zwei junge Männer, ein 21-jähriger Münchner und ein 22-jähriger Dachauer, die in der Nacht vom 15. Juli diesen Jahres mehrmals mit zwei gemieteten Autos und überhöhter Geschwindigkeit durch einen Kreisverkehr auf der Siemensstraße im Dachauer Gewerbegebiet gefahren sein sollen. Obwohl der Richter versucht hat, den beiden vor Eintritt in die Beweisaufnahme gut zuzureden, wollen sie kein Geständnis ablegen oder sich anderweitig zu den Vorwürfen äußern. Weil zudem zwei wichtige Zeugen, ein Ehepaar, das die Tat gefilmt haben will, aber krankheitsbedingt nicht vor Gericht aussagen kann, und die übrigen Zeugenaussagen aus Sicht der Staatsanwältin und Richter Calame widersprüchlich - beziehungsweise unvollständig - sind, wird die Verhandlung vertagt.

Der erste Zeuge, ein 20-jähriger Dachauer, will sich aufgrund der Einnahme von Antidepressiva an kaum noch etwas erinnern, was vor fünf Monaten passiert ist. Der 22-jährige Angeklagte sei ein Freund von ihm, den anderen habe er erst an diesem Abend kennengelernt. Gemeinsam mit zwei Frauen hätten sie an der Araltankstelle im Gewerbegebiet wie so oft etwas getrunken und dann seien sie entweder zum Dachauer Schloss oder zur Ruderregatta gefahren, so genau wisse er das nicht mehr. Er schätzt, dass es so gegen 20 oder 21 Uhr gewesen sein muss.

Obwohl der Richter ihn mehrmals dazu auffordert, zu schildern, was an jenem Abend passiert ist, bleibt der Zeuge einsilbig. "Lassen Sie sich doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen", sagt Richter Calame. Als der 20-Jährige sich immer wieder darauf beruft, aufgrund der Medikamenteneinnahme kaum noch etwas zu wissen, wird der Richter ungehalten: "Ich glaube, wir gehen am Ende des Tages hier mit drei Falschaussagen raus." Drei deshalb, weil er noch zwei weitere Zeugen, die laut Polizei ebenfalls in den Autos gesessen haben sollen, geladen hat.

Nach etwa 20 Minuten und dem Anschauen des Videos, das die Tat offenbar zeigen soll, sagt der Zeuge schließlich, dass er sich mit den zwei Frauen unterhalten habe, die beiden Angeklagten seien in der Zwischenzeit mit einem oder zwei Autos unterwegs gewesen. Obwohl die Polizei schließlich den Angeklagten die Führerscheine abgenommen und die Fahrzeuge beschlagnahmt habe, will er mit den beiden im Nachhinein nicht noch einmal über den Abend gesprochen haben. Schließlich entlässt Richter Calame den Zeugen unvereidigt. Mit einem erneuten Blick zu den Angeklagten will er wissen: "Müssen wir das jetzt noch zweimal so spielen? Das sind ja Ihre Freunde." Die Angeklagten tauschen zwar immer wieder Blicke aus, doch sprechen wollen sie nicht.

Die zweite Zeugin, eine 20-jährige Dachauerin, sagt zwar ebenfalls aus, dass sie nur mit dem 22-jährigen Angeklagten befreundet ist und den 21-jährigen Münchner erst an jenem Abend kennengelernt hat, doch davon abgesehen, unterscheidet sich ihre Aussage in fast allen wesentlichen Punkten von der des ersten Zeugen. So erzählt sie, der Mann habe sie gegen 23Uhr von zuhause abgeholt, daraufhin seien sie mit noch einer Freundin zum Schloss gefahren und von dort weiter zur Ruderregatta. Den zweiten Angeklagten sowie den ersten Zeugen hätten sie am Schloss getroffen. Man habe etwas getrunken, schließlich sei man aber wieder in die Stadt gefahren.

Weil es ihr nicht gut gegangen sei und sie habe rauchen wollen, sei sie mit ihrer Freundin ausgestiegen. Die beiden hätten geredet, was die Angeklagten während dieser Zeit gemacht hätten, weiß sie nicht. "Ich habe nicht darauf geachtet." Im Anschluss habe sie den angeklagten Freund gebeten, sie nach Hause zu fahren. Unterwegs habe sie jedoch einen Anruf von ihrer Freundin bekommen, weil sie deren Sachen in ihrer Tasche gehabt habe und sich darin auch ihr Ausweis befunden habe. Zurück an der Araltankstelle sei die Polizei schon da gewesen. Auch sie will im Nachhinein nicht mit dem Angeklagten über die Nacht gesprochen haben. Weder Richter Calame noch die Staatsanwältin können und wollen das glauben. "Wollen Sie uns eigentlich für dumm verkaufen?", fragt sie hörbar verärgert.

Der Anwalt des 21-Jährigen indes sagt, er versteht nicht, warum davon ausgegangen werde, dass sein Mandant die Tat begangen haben soll. "Die Ermittlungen können auch falsch sein." Bereits zu Beginn der Verhandlung hatte er vorgeschlagen, das Verfahren einzustellen. Die Anwältin des 22-Jährigen fügt hinzu, dass aus ihrer Sicht mehr als zwei Autos auf dem Video zu erkennen seien. Über die Schnelligkeit könne man wenig sagen, findet sie.

Richter Calame betont indes: Damit der Tatbestand eines verbotenen Kraftfahrtrennens erfüllt sei "muss man nicht großartig Fahnen schwingen". Letztlich entscheidet er sich jedoch dagegen, die zwei weiteren wartenden Zeugen zu hören und beschließt, die Verhandlung im neuen Jahr weiterzuführen, wenn zumindest einer der beiden Zeugen, die gefilmt haben, aussagen können. Ein genauer Termin steht noch nicht fest. Bei einer Verurteilung droht den beiden jungen Männern eine Geldstrafe sowie der Entzug des Führerscheins auf Zeit.

© SZ vom 19.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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