Förderrichtlinien:Untragbare Zustände für Frauenhäuser

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Der AWO-Vorsitzende Oskar Krahmer fordert Ministerpräsident Markus Söder auf, die Förderrichtlinien für Frauenhäuser nach oben zu korrigieren.

Von Helmut Zeller, Dachau

Oskar Krahmer, Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im Landkreis Dachau, hat in seinem Leben viel politische Erfahrung gesammelt. Ohne Geduld, das weiß der Sozialdemokrat nur zu gut, lässt sich nichts erreichen. Und Oskar Krahmer, seit 56 Jahren Mitglied der SPD, hat einiges bewegt, die Gründung eines Frauenhauses in Dachau vor 20 Jahren etwa. Aber jetzt ist ihm, wie er sagt, "die Hutschnur geplatzt".

Das hat vor allem einen Grund: Die Förderrichtlinien des Freistaats Bayern für Frauenhäuser stammen aus dem Jahr 1993, sind hoffnungslos veraltet. "Seit mehr als 20 Jahren warten wir darauf, dass sich etwas verändert", sagt Krahmer. Den Einrichtungen fehlt es an Geld, an Personal und Platz. In Dachau können nur fünf Frauen und sechs Kinder aufgenommen werden. Allein 2017 baten aber 173 misshandelte Frauen um Schutz für sich und ihre Kinder. "Ständig müssen wir Frauen abweisen", sagt Krahmer.

In einem Brief hat Krahmer nun am 30. August den Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) aufgefordert, die untragbaren Zustände rasch zu beenden. Die Bemessungsgrundlage für den Bedarf von Frauenhausplätzen aus dem Jahr 1993 müsse dringend nach oben verändert werden, sagt Krahmer. In den zurückliegenden Jahrzehnten habe sich der weibliche Bevölkerungsanteil zwischen 18 und 60 Jahren im Landkreis Dachau verdoppelt. Das gilt ebenso für den gesamten Ballungsraum München, der auch zum Einzugsbereich des Dachauer Frauenhauses gehört.

Im gesamten Jahr 2017 hat das Schutzhaus zwölf Frauen und 14 Kinder aufgenommen. Es kamen aber 36 Anfragen aus der Stadt, 33 aus dem Landkreis Dachau, 46 aus München, 35 aus dem restlichen Bayern, 22 aus anderen Bundesländern und eine aus dem Ausland. Krahmer wäre schon froh, wenn die Anzahl der Plätze in Dachau verdoppelt würde. Auch die laut Richtlinien durchschnittliche Aufenthaltsdauer von sechs Wochen entspricht längst nicht mehr der Realität.

Eine Studie des Instituts für empirische Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg kommt zu dem Schluss, dass die Regelverweildauer auf drei Monate erhöht werden muss. In Dachau waren 2017 zwei der Plätze bis zu sechs Monaten, drei darüber hinaus belegt. Und nicht nur das. Die Probleme verschärfen sich zusehends, da für die Frauen, die vor häuslicher Gewalt geflohen sind, auf dem freien Markt kaum bezahlbare Wohnungen gefunden werden können. Den Dachauern ist das nur in einem Fall gelungen. Auch deshalb müssen die Mitarbeiter misshandelte Frauen und ihre Kinder - drei Viertel etwa sind minderjährig - abweisen.

Söder soll die Angelegenheit zur "Chefsache" machen, fodert Krahmer

Krahmer fordert Markus Söder auf, die Angelegenheit zur "Chefsache" zu machen. "Finanzieren Sie den Frauen und ihren Kindern aus dem Staatshaushalt ein Übergangsgeld, um hohe Mieten und Kautionen abfedern zu können oder finanzieren Sie ambulante Übergangswohnungen." Der Schutz vor Gewalt sei eine Aufgabe des Staates. So steht es im Grundgesetz und in der Bayerischen Verfassung. "Warum setzt die Staatsregierung dies nicht um?"

Die wissenschaftliche Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Förderrichtlinien von 1993 völlig überholt sind. Laut Studie braucht es viel mehr Frauenhausplätze, mehr Personal und eine einheitliche, klare Finanzierung - ganz im Sinne von Krahmer. "Ich kämpfe seit Jahren für eine einheitliche Finanzierungsrichtlinie für Bund, Kommunen und Staat. Der Flickenteppich der bisherigen Finanzierung von Frauenhäusern durch den Bund, das Land Bayern und Kommunen sollte ein einheitliches Ziel verfolgen." Ministerpräsident Söder solle im Bundesrat den Rechtsanspruch von betroffenen Frauen und ihren Kindern auf eine Unterbringung in einer Schutzeinrichtung unterstützen. Niedersachsen und Hessen haben entsprechende Anträge formuliert.

Es ist kein lokales Problem: Alle 38 staatlich geförderten Frauenhäuser mit 339 Plätzen für misshandelte Frauen und ungefähr 400 für Kinder in Bayern stehen vor diesen Problemen. Jede zweite Frau muss abgewiesen werden. Brita Richl etwa, Leiterin des Frauenhauses der Arbeiterwohlfahrt in Würzburg, beschreibt die Lage mit einem Satz: "Ich verwalte den Mangel."

Es fehlt nicht nur an Platz. Frauenhäuser bieten nicht nur eine sichere Unterbringung der misshandelten Frau und ihrer Kinder. Auch eine ambulante telefonische oder persönliche Beratung gehört zu den Angeboten.

Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe

Neben der Betreuung erhalten Frauen und deren Kinder Hilfe bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche, beim Umgang mit Ämtern und Behörden sowie bei medizinischen, rechtlichen, sozialen und psychischen Problemen. Auch eine Anschlussbetreuung wird geboten. Dabei geht es den Mitarbeitern vor allem um Hilfe zur Selbsthilfe. "Die betroffenen Frauen sollen wieder so viel Selbstvertrauen und Selbstständigkeit gewinnen, dass sie eigenverantwortlich über ihre Zukunft und die ihrer Kinder entscheiden können", heißt es auf der Homepage des bayerischen Familienministeriums.

"Das bleibt weiterhin ein Traum", sagt Krahmer. Wie sollen auch etwa in Dachau 2,5 Fachkräfte für die Frauen und 0,75 Stellen für die Kinder das alles bewältigen. Das engagierte Team schafft es irgendwie - der vom Gesetz vorgeschriebene Schutz vor Gewalt kann unter diesen Umständen jedoch nicht umfassend gewährleistet werden.

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Einen Lichtblick gibt es: "Die Zusammenarbeit mit dem Landkreis ist hervorragend", sagt Krahmer. Der Landkreis Dachau gibt als Kommune entsprechend der Richtlinien jährliche Zuschüsse. Aber der staatliche Zuschuss für das Frauenhaus Dachau fällt so üppig nicht aus: Jährlich sind es 36 000 Euro. Der Eigenanteil der Awo an den Personalkosten, zehn Prozent, müsse abgeschafft werden.

Häusliche Gewalt in Familie und Partnerschaft ist übrigens kein Einzelschicksal. Sie existiert in allen gesellschaftlichen Schichten, oft unerkannt. Laut Bundesfamilienministerium hat mindestens jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren körperliche oder - zum Teil zusätzlich - sexuelle Übergriffe durch den Ehemann oder Lebenspartner erlebt.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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