Fachkräftemangel:Schwere Geburt

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Katharina Zausinger mit ihren kleinen Töchtern Josephine (acht Monate) und Johanna (drei Jahre). Die Hebamme ist eine von insgesamt 19 freiberuflichen Geburtshelferinnen im Landkreis Dachau. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Vielerorts gibt es zu wenig freiberufliche Hebammen, die werdenden Müttern vor und nach der Entbindung helfen. Auch im Landkreis Dachau könnte sich die Lage zuspitzen. Es fehlen Nachwuchskräfte

Von Jacqueline Lang, Dachau/Karlsfeld

- Katharina Zausinger, 33, hat vor Kurzem ihre Tochter auf die Welt gebracht. Jetzt krabbelt Josephine über den Boden, manchmal gluckst sie dabei fröhlich. Die Kleine ist erst acht Monate alt, aber schon voller Leben - und sie ist eines von durchschnittlich 1000 Kindern, die im Helios Amper Klinikum jährlich geboren werden.

Katharina Zausinger ist nicht nur zweifache Mutter, sie hilft auch anderen Frauen, Mütter zu werden. Als Hebamme unterstütz sie bei der Geburt, aber auch bei der Vor- und Nachbereitung. Sie leitet eine Hebammenpraxis, die direkt neben der Klinik gelegen ist. Dort bietet sie schwangeren Dachauerinnen ein Rundumsorglospaket. Auch Yoga, Akupunktur und Babyschwimmen sind im Programm.

Zausinger ist eine von insgesamt 19 freiberuflichen Geburtshelferinnen im Landkreis Dachau. Hier sind die Hebammen im Moment noch vergleichsweise gut aufgestellt. Zausinger hat vor der Übernahme der Praxis 2016 jahrelang im Klinikum Großhadern gearbeitet und kennt die Notstände in den Großstädten. "In Dachau musste noch nie eine Frau an der Klinik abgewiesen werden", sagt sie. Doch sie befürchtet, dass sich die Lage auch hier zuspitzen könnte, denn viele der Hebammen, die seit Jahren als eingespieltes Team zusammenarbeiten, gehen in absehbarer Zeit in Rente. Ein paar junge Kolleginnen seien zwar bereits nachgerückt, aber bei weitem nicht genug.

Wie akut der Handlungsbedarf ist, belegen die Zahlen einer vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Studie: 52 Prozent der im Jahre 2016 freiberuflichen Hebammen haben ihre Beschäftigung aufgegeben, während die Geburtszahlen weiter angestiegen sind, 30 Prozent der noch berufstätigen Hebammen denken oft oder sogar sehr oft über die Aufgabe ihres Berufs nach Gleichzeitig gibt mehr als jede vierte Mutter an, Schwierigkeiten beim Finden einer Hebamme für Schwangeren- und Wochenbettbetreuung gehabt zu haben.

Katharina Zausinger ist sich sicher, dass jede Hebamme ihren Beruf wirklich gerne und gewissenhaft macht. Doch für sie ist es nicht nachvollziehbar, dass Hebammen nach wie vor so schlecht bezahlt werden. Vor allem die neue Regelung, dass eine freiberufliche Geburtshelferin nur zwei Frauen gleichzeitig betreuen darf und ab der dritten Frau auf den Kosten sitzen bleibt, findet sie unbegreiflich und realitätsfern. Ihre Kollegin Mechthild Hofner, 53 formuliert es noch drastischer: "Das ist ein Skandal". Hofner arbeitet seit über 30 Jahren als Hebamme und sitzt zudem für das Bündnis für Karlsfeld im Kreisrat. Auf politischer Ebene kämpfe David gegen Goliath, der Hebammenverband gegen die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) - zu Lasten aller Beteiligten.

Hofner sieht in diesem Notstand ein "gesamtgesellschaftliches Anliegen". Deshalb ist sie, genau wie Zausinger, der Meinung, dass der Beruf entsprechend honoriert werden müsste. Die beiden Frauen glauben, dass eine Akademisierung zwar einerseits dazu beitragen könnte, die Wertschätzung für den Beruf zu fördern. Gleichzeitig seien für den Job Fähigkeiten wie Empathie, Geduld und Organisationstalent weitaus entscheidender an als gute Noten. Viele der Frauen, die als Hebammen arbeiten würden, hätten ohnehin Abitur, sagt Zausinger. Ob der Wechsel vom Ausbildungsberuf zum Studium also wirklich zu einer Verbesserung beitrage, sei daher fraglich.

Der Beruf lässt sich manchmal schwer mit der Erziehung von Kindern vereinen. Weil die Kosten für die Haftpflichtversicherung so enorm hoch seien, kommt für die meisten Hebammen eine Halbtagsstelle nicht in Frage. Zausinger selbst möchte mit zwei kleinen Kindern nicht mehr in Vollzeit arbeiten, doch wer weniger arbeite, für den sei der Beruf schnell nicht mehr lukrativ. Ein Problem, das viele Hebammen beschäftigt, denn es handelt sich dabei nach wie vor um einen klassischen Frauenberuf. Im Landkreis gibt es keinen einzigen männlichen Geburtshelfer.

Gleichwohl gibt es Hoffnung, dass sich die Lage bessert. Seit Mai 2017 sitzen alle Hebammenverbände mit den entscheidenden Institutionen an einem Tisch. Zudem sei die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml den Hebammen "sehr gewogen", so Hofner. Unter Humls Leitung sei beispielsweise das Zukunftsprogramm Geburtshilfe ins Leben gerufen worden. Demnach soll der Hebammenbonus in Bayern um jährlich 1000 Euro erhöht werden. Außerdem wolle man mithilfe von Fördergeldern eine Koordinationsstelle für Hebammen im Landkreis Dachau schaffen, damit Notstände aufgefangen werden, sagt Hofner.

Doch die Probleme in der Branche sind vielfältig. Hofner betreut aktuell eine Frau, die in der Krankenhausstraße in Dachau lebt. Weil davon ausgegangen wird, dass es bei der Geburt eventuell zu Komplikationen kommen könnte, kann sie nicht an der Dachauer Klinik entbinden - obwohl diese direkt vor der Haustür liegt. Der Grund: Am Dachauer Klinikum gibt es keine Kinderintensivstation. Und wer nicht im Klinikum entbinde, der habe auch in einer kleinen Stadt wie Dachau schlechte Aussichten auf eine Betreuung vor und nach der Entbindung, so Hofner.

"Gebären in Unsicherheit erzeugt Angst." Wenn eine hochschwangere Frau an der Klinik abgewiesen werde, sei das kein hinnehmbarer Zustand - weder für die Frau noch für die Hebamme, die zu diesem Schritt gezwungen sei. Die Folge: Werdende Mütter bemühen sich immer früher um einen Platz. Erst vor kurzem habe eine Frau, die erst in der sechsten Schwangerschaftswoche gewesen sei, in der Hebammenpraxis angerufen, sagt Zausinger. Mit der Freude auf das Kind kommt immer früher auch die Sorge, mit all seinen Fragen, Ängsten und Zweifeln alleine gelassen zu werden - nicht nur in Großstädten wie München, sondern auch in kleineren Städten und Gemeinden wie Dachau und Karlsfeld.

Für Katharina Zausinger, die auch schon sechs Jahre als Erzieherin gearbeitet hat, ist der Beruf der Hebamme trotz allem ein absoluter Traumjob, wie sie sagt. Denn der Beruf hat auch Vorteile. Was nur die wenigsten wüssten, so Zausinger: "Als Hebamme ist man sehr flexibel und kann sich seine Zeit frei einteilen." Und nicht nur das: Von den Frauen, die man über einen sehr langen Zeitraum intensiv begleite, bekomme man unglaublich viel zurück.

© SZ vom 27.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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