Energie:Karlsfelder Klimaretter

Lesezeit: 4 min

Wie die Gemeinde mit ihrem Biomasseheizkraftwerk umweltfreundliche Energie produziert und Bürgermeister Stefan Kolbe das Projekt auf Volldampf vorantreibt

Von Gregor Schiegl

Seit April 2011 liefert das gemeindliche Biomasseheizkraftwerk Strom und Wärme aus nachwachsenden Rohstoffen. Noch im Herbst wird das 9,6 Kilometer lange Fernwärmenetz die Zehn-Kilometer-Marke knacken. Bis Oktober werden weitere 900 Meter Rohrleitungen verlegt - ins Gewerbegebiet, wo noch die letzten potenziellen Großabnehmer auf Fernwärme warten. 1,5 Millionen Euro lassen sich die Gemeindewerke das kosten. Anfang nächsten Jahres geht außerdem ein vierter Heizkessel in Betrieb. Diese Investition kostet noch mal 650 000 Euro. In einer Kommune, die sonst jeden Cent zweimal umdreht, weil sie nicht weiß, wie sie sonst noch einen genehmigungsfähigen Haushalt hinkriegen soll, ist das bemerkenswert.

"Die Gemeinde Karlsfeld hat hier eine absolute Vorbildfunktion", sagt Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU). Alle sollen mitmachen beim großen Projekt Klimarettung, sollen Energie sparen. Beheizt wird die Anlage mit unbehandeltem zerhäckselten Holz aus Stämmen und Ästen, die die Bayerischen Staatsforsten aus ihren Wäldern zieht. Das ersetzt Ölöfen und Gasheizung. So hat Karlsfeld seit 2011 schon einige Tausend Tonnen des klimaschädlichen Gases CO₂ eingespart. Es geht auf diese Weise und nicht wie in der großen Politik, wo die Energiewende mit größten Ambitionen startete, aber schnell im Kleinklein technischer und politischer Hemmnisse stecken blieb.

SZ-Karte: Mainka (Foto: SZ-Karte: Mainka)

Karlsfeld hat nicht auf die große Politik gewartet. "Es steht uns gut zu Gesicht, einen eigenen Weg zu gehen", sagt der Bürgermeister selbstbewusst. Was nicht heißt, dass es ein einfacher Weg gewesen wäre. "Man hatte Startschwierigkeiten", räumt Kolbe ein. Das Ortszentrum, das 2011 als einer der ersten großen Abnehmer angeschlossen werden sollte, kam erst mal nicht; der alte Investor hatte die Bautätigkeit im Sommer 2009 eingestellt. Wider Erwarten drehte sich auch die Preisspirale für Öl und Gas nicht mehr weiter nach oben - plötzlich ging sie nach unten. In vielen Neubaugebieten war der Energiebedarf wegen der modernen Bauweise auch zu gering, als dass sich ein Anschluss noch gelohnt hätte. Und dann drängten zeitweise auch noch Mitbewerber auf den Karlsfelder Markt, zum Beispiel von den Stadtwerken München. Die Gemeindewerke mussten ihr Preisblatt anpassen.

In diesem Metier braucht man ein dickes Fell und einen langen Atem. Bis der Betrieb reibungslos lief, dauerte es eine Weile. So ein Heizkraftwerk ist kein großer Holzofen, sondern eine hochkomplexe technische Anlage. Anfangs überließ man den Betrieb lieber Experten von auswärts. Inzwischen läuft das Heizkraftwerk komplett in Eigenregie der Gemeindewerke. Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) rechnet damit, dass sich die Anlage - Stand heute - in etwa 15 bis 20 Jahren amortisiert haben wird. Das ist noch ein langes Stück Weg. Aber es gab nie Diskussion im Gemeinderat, ob sich das denn lohne. Diese Courage findet auch jenseits der Gemeindegrenzen Anerkennung: 2012 wurde Karlsfeld vom Landkreis mit dem Energiepreis ausgezeichnet. Die Dotierung mit 3000 Euro ist eher symbolisch, aber immerhin.

Die Anlage an der Münchner Straße produziert Wärme und Strom aus Hackschnitzel. Das erfordert aufwendige Technik. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wer so weit gegangen ist wie Karlsfeld, muss weitergehen. Man ist aber auch schon weit gekommen: 15 gemeindliche Einrichtungen hängen am Versorgungsnetz des Biomasseheizkraftwerks, dazu 84 Privatkunden - Haushalte, Wohnblöcke und Einfamilienhäuser; in diesem Jahr kommen noch sechs weitere dazu. Mittlerweile ist auch der Brückenschlag über die Bahn vollzogen, der Komplex für Betreutes Wohnen am S-Bahnhof westlich der Bahnlinie geht bald ans Netz. Noch im September kommt das Ortszentrum an die Reihe, die Neue Mitte, mit ihren Märkten, Läden und mehr als 200 Wohnungen.

Die Aufbauphase ist nach diesen Endspurt so gut wie abgeschlossen, die Hauptäste fertig. "Jetzt arbeiten wir eigentlich nur noch an der Verdichtung des Netzes", sagt Stefan Peisl. Der Ingenieur war von Anfang an der federführende Verantwortliche für die "Neue Energie Karlsfeld", wie das Fernwärmeprojekt offiziell heiß. Inzwischen ist Peisl auch Leiter der Gemeindewerke. Er weiß um die Möglichkeiten des Energieprojekts - kennt aber auch die Grenzen. "Wir können nicht das Gemeindegebiet mit Wärme versorgen", sagt er. "Dafür sind die Strecken zu weit." In Karlsfeld steht das Grundwasser sehr hoch, das macht auch die Verlegung der Rohrleitungen teuer. 1000 Euro muss man pro Meter rechnen. Dass es sich nicht lohnt, ein Häuschen 100 Meter abseits vom Rohrnetz anzuschließen, kann sich selbst der Laie ausrechnen.

1 / 1
(Foto: Niels P. Jørgensen)

Leiter der Gemeindewerke, Stefan Peisl.

Bürgermeister Stefan Kolbe.

Manches, was vor Jahren noch als vielversprechende Vision für eine klimafreundliche Energieversorgung galt, wurde mittlerweile auch in Karlsfeld als undurchführbar verworfen. Tief unter der Gemeinde gibt es heiße Wasservorkommen, die bis zu 75 Grad heiß sind. Geothermie - Heizen mit Erdwärme - das klang nach der perfekten Wärmequelle: klimafreundlich, nachhaltig, schier unerschöpflich. Private Spekulanten sicherten sich erst mal die Bohrrechte. Aber in das Hochrisikogeschäft einsteigen wollte keiner. Die Investitionskosten wären gigantisch, die Erfolgsaussichten eher zweifelhaft. Vermutlich wird es nie ein Geothermieprojekt in Karlsfeld geben. Jedenfalls nicht unter Flagge der Gemeindewerke Karlsfeld.

Das Projekt "Neue Energie Karlsfeld" treibt Kolbe mit Volldampf voran. Geerbt hat er es von seinem Vorgänger: Fritz Nustede, SPD-Mann, Nordlicht, findiger Ingenieur und Radfahrer aus Überzeugung. Nustede missfiel, welche Macht die Ölkonzerne haben, ökonomisch und politisch. Das Biomasseheizkraftwerk sollte die Gemeinde unabhängiger machen. "Ich bin zufrieden, wie es sich entwickelt hat", sagt Bürgermeister Kolbe heute. Er schaut aber nicht nur auf die Zahl der Kunden, die Qualität muss auch stimmen. "Wir müssen hundertprozentig zuverlässig sein", sagt er. Deswegen ist der vierte Kessel, der nun eingebaut wird auch einer, der mit Öl beheizt wird - für den Notfall und um Spitzenlasten abzufangen. 100 Prozent klimaneutral ist also auch das Heizkraftwerk nicht, aber schon nahe dran, damit ist schon viel gewonnen.

Außerdem ist das Heizkraftwerk nicht das einzige Energieprojekt in Karlsfeld: An der Kläranlage gibt es zwei Blockheizkraftwerke, die zwei Drittel des Eigenbedarfs der Kläranlage produzieren. Dazu kommen noch drei Bürgersolaranlagen: Ein alternativer Energiemix mit einigen dezentralen Elementen, die immer wieder erweitert und ergänzt werden - so könnte es auch im Großen klappen.

© SZ vom 24.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: