Dachaus Kulturjahr 2021:Die Kunst, sich neu zu erfinden

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Auch Holzfiguren von Christiane Osann bevölkern im Juli das "Kunstland 1" des Sulzemooser Bildhauers Ulrich Hochmann. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Beschränkungen des Kulturbetriebs in der Pandemie befördern die Entwicklung neuer Konzepte. Einige von ihnen könnten bleiben.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Einen Aufzug hat der Dachauer Wasserturm noch immer nicht. Wer sich die Ausstellungen dort ansehen will, die der Förderverein auf zwei, manchmal sogar auf allen drei Etagen des 29 Meter hohen Gebäude organisiert, muss gut zu Fuß sein; es gilt, an die 100 Treppenstufen zu bewältigen. 2020 gab es dort allerdings nichts zu sehen. Im Jahr eins der Pandemie lautete das oberste Gebot: Abstand halten! In einem Gebäude mit einem einzigen schmalen Zugang ist das praktisch unmöglich. Die Räume blieben leer.

Im Jahr 2021, dem zweiten Jahr im Ausnahmezustand, ist nicht alles anders, doch manches besser geworden für die Kulturschaffenden im Landkreis. "Auch wenn es trotz der Impfstoffe vielleicht noch ein langer Weg werden wird, bis wir diese gegenwärtigen Zustände überwunden haben werden, sind wir zuversichtlich, dass wir auch 2022 wieder ein schönes Programm werden auf die Beine stellen können", sendet der Förderverein des Wasserturms eine frohe Weihnachtsbotschaft in die Welt.

Natürlich, es wird Kreativität erfordern, aber die hat die Dachauer Kulturszene 2021 wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt mit neuen Formaten, Konzepten und solidarischen Aktionen: Die größte davon ist das Crowdfunding-Projekt "Spotlight on Dahoam". Der Verein "Dachau handelt", die Band Ois Easy, die Burger-Bar "Hi Five" und die Grafikagentur "Spectrum Digitale Medien" stellen es gemeinsam auf die Beine, um die gebeutelten Kulturschaffenden, Gastronomen, aber auch die besonders hart getroffenen Veranstaltungstechniker im Landkreis vor dem Ruin zu retten. Per Online-Stream werden Konzerte in Echtzeit über Facebook ausgestrahlt, Sascha Seelemann übernimmt die Moderation. Die im März gestartete Reihe ist kostenlos fürs Publikum, aber nicht umsonst für die beteiligten Künstler; es werden virtuelle Tickets verkauft. Hunderte von Unterstützern tragen dazu bei, dass binnen weniger Wochen die Zielmarke von 15 000 Euro nicht nur erreicht, sondern sogar noch übertroffen wird

Auf Initiative von Carola Hain-Fischer geht auch die jährliche Spende des Rotary Clubs Dachau von 10 000 Euro diesmal an die lokale Kulturszene; der Autozulieferer Autoliv legt noch mal 5000 Euro drauf. Der Club lobt einen Kulturpreis aus, der an 15 Preisträger unterschiedlichster künstlerischer Sparten geht, von Theater über Fotografie bis Musik. Dass die Preisverleihung wegen hochschnellender Infektionszahlen nicht wie geplant öffentlich stattfinden kann, schmälert den Erfolg nicht. Im Gegenteil. Statt Small Talk mit Besuchern kommt es zu einem regen spartenübergreifenden Austausch der Künstler untereinander. In der KVD-Galerie entstehen an diesem Abend einige neue Ideen für gemeinsame Projekte. Das eine oder andere davon wird man vielleicht schon im kommenden Jahr zu sehen und zu hören bekommen.

Die strikten Regeln für den Kulturbereich und nicht zuletzt die hohen Infektionszahlen in den Wintermonaten machen große Veranstaltungen wie das alljährliche Plug&Play diesmal unmöglich. Elf Bands und bis zu 600 Zuschauer im voll besetzten Saal des Thoma-Hauses liegen im Februar jenseits der Vorstellungskraft. Nach der Devise "Dabei sein ist alles" nutzt Organisator Robert Freudenberg die schon bereitgestellten Zuschüsse von Stadt und Landkreis, um das Bandfestival für ein Online-Publikum aus dem eigenen privaten Wohnzimmer heraus zu moderieren. Gespielt werden Musikclips der beteiligten Band, quasi live aus der Konserve.

Anders als sonst fließen auch ein paar Hundert Euro an die zumeist semiprofessionellen Bands. Bei der Auswahl der Musiker spielt auch eine Rolle, wer eine finanzielle Unterstützung jetzt am dringendsten nötig hat. Mehr als 1200 Leute schauen sich den Stream auf Youtube an. Die Resonanz der Fangemeinde fällt durchweg positiv aus. Noch im September entscheiden die Organisatoren, das nächste Plug&Play am 5. März 2022 wieder als Live-Veranstaltung zu planen. Aber da weiß noch keiner etwas von einer hochansteckenden Corona-Mutante namens Omikron. Langfristige Planungen bleiben schwierig.

Dachaus Kulturamtsleiter Tobias Schneider hat seine Strategie längst an die Unwägbarkeiten dieser Pandemie angepasst: nie zu groß planen und immer gut vorbereitet sein. Als zu Pfingsten die Infektionszahlen sinken, zaubert er für das Thoma-Haus ad hoc eine Konzertreihe mit namhaften lokalen Künstlern aus dem Hut. Seine Entscheidung, den "Dachauer Musiksommer" - einem Highlight im Kulturjahr der Stadt - als coronakonforme Sitzkonzerte für maximal 500 Besucher zu machen, erweist sich als goldrichtig. Die Atmosphäre ist entspannt und fröhlich. Ganz so wie früher fühlt es sich noch nicht an. In der Vereinzelung auf weit auseinanderstehenden Stuhlpaaren bringt das Publikum nicht genug Masse auf für einen Partyrausch, wie man ihn vor Corona bei Konzerten mit 2000 hüpfenden Zuschauern auf dem Rathausplatz erleben durfte. Dass die meisten anderen Konzertveranstalter des Landes sich im Juni erst noch sortieren müssen, sieht man allein daran, dass die Konzerte der Antilopen Gang und Moop Mama in Dachau erst jeweils ihr zweites im ganzen Jahr sind, für Dicht & Ergreifend und Mighty Oaks ist es sogar der erste Auftritt vor Publikum seit Ausbruch der Corona-Pandemie überhaupt.

Auch die bildenden Künstler müssen kreative Lösungen finden. Schon zum zweiten Mal lädt der Kunstkreis Karlsfeld zu einem "Kunstspaziergang" durch die Gemeinde ein. Elf Geschäfte stellen 54 Werke von Karlsfelder Künstlern in ihren Schaufenstern aus. "Man kann ja auch nicht einfach nichts tun", erklärt Klaus-Peter Kühne, Vorsitzender des Kunstkreises. Und dass die Kunst jetzt mitten unter die Leute kommt, hat ja auch was für sich. Museen und Galerien erreichen oft nur eine kleine elitäre Klientel. Die Leiterin der Dachauer Galerie Elisabeth Boser hat sogar das Pech, eine sehr sehenswerte Ausstellung über die holländische Künstlerkolonie Katwijk an Zee zu kuratieren, die bis zu ihrem Ende im Mai kaum einer zu Gesicht bekommen wird. Museen und Galerien müssen monatelang geschlossen bleiben.

Ulrich Hochmann verwandelt im Juli seinen idyllischen Garten in Sulzemoos kurzerhand zu einer Open-Air-Galerie, die er gemeinsam mit befreundeten Künstlern bespielt. Friedo Niepmann steuert ein Fahrrad aus Draht bei, das zwischen alten Obstbäumen schwebt, auf einem Brett tummeln sich drollige Kleinskulpturen von Ruth Strähuber, dazwischen wachsen bunte Blumen zwischen nicht minder bunten Bilder. "Kunstland 1" hat der Steinbildhauer seinen verzauberten Garten genannt, und egal wie das jetzt mit Corona weitergeht: Im neuen Jahr darf man sich schon aufs "Kunstland 2" freuen. Mit oder ohne Corona. Für gute Ideen braucht es ja nicht immer eine Pandemie.

© SZ vom 27.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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