Dachau:Zeichen gegen Rechtsextremismus

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Die Evangelische Versöhnungskirche in Dachau will künftig bei Gedenkfeiern für die Opfer Hitler-Deutschlands auch die Verbrechen der Neonazis anklagen und die Verantwortung von Staat und Gesellschaft thematisieren.

Helmut Zeller

Pfarrer Björn Mensing an der Evangelischen Versöhnungskirche. (Foto: DAH)

- Die Evangelische Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte will künftig bei Gedenkfeiern für die Opfer des Naziregimes ein Zeichen gegen den Rechtsextremismus setzen. Wie Pfarrer Björn Mensing, Beauftragter der evangelischen Landeskirche für Gedenkstättenarbeit, der Süddeutschen Zeitung sagte, soll der Opfer von Neonazis, etwa der Zwickauer Terrorzelle, namentlich und biografisch gedacht werden. Mehr als einhundert Menschen sind in Deutschland seit 1990 von Rechtsextremisten ermordet worden. Der Pfarrer denkt an Veranstaltungen in Dachau wie zur Erinnerung an das Novemberpogrom 1938 oder den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar. Es gehe nicht etwa um eine Gleichsetzung der Verbrechen, die natürlich unzulässig sei. Mensing sieht jedoch im Umgang mit der Vergangenheit wie mit dem Neonazismus eine "gewisse Parallele": das Versagen von Gesellschaft und Staat, aber auch kirchlichen Stellen.

Auf ihrer "Ost-West-Konferenz" in Nürnberg verabschiedete die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAGKR), die von der Versöhnungskirche vor zwei Jahren mitbegründet wurde, ein Papier zur Prävention rechtsextremistischer Straftaten. Der Appell ging vor allem an Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der am selben Tag, als ein Mahnmal für ermordete Sinti und Roma eingeweiht wurde, Maßnahmen für eine beschleunigte Abschiebung von verfolgten Sinti und Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien bekannt gab. "Das ist ein offener Widerspruch", sagt Pfarrer Mensing. Bundeskanzlerin Merkel wird in dem Papier aufgefordert, die Grundsätze christlicher Ethik in ihrem eigenen Regierungskabinett zur Geltung zu bringen. Aber auch die Kirchen selbst müssten sich in den Blick nehmen, sagt Mensing. Verschiedene Erhebungen haben gezeigt, dass gerade unter den Menschen, die den Kirchen verbunden sind, antisemitische, rassistische und ausländerfeindliche Haltungen stark verbreitet sind.

In Nürnberg sprach Mensing über den Umgang der bayerischen Landeskirche mit der Nazivergangenheit seit 1945 und die Integration der Täter in die Gesellschaft. Selbst Kirchenvertreter wie Landesbischof Hans Meiser (1881-1956) hätten Gnadengesuche für verurteilte Kriegsverbrecher, die in Landsberg in Haft waren, eingereicht. Mensing erinnert an den nach 1945 rasch aufziehenden Kalten Krieg: Der Verfassungsschutz gerade in Bayern, in dem selbst Belastete Unterschlupf fanden, habe sich auf die Verfolgung tatsächlicher oder vermeintlicher Linksextremisten konzentriert. Die Blindheit auf dem rechten Auge korreliert mit dem Versagen des Staates bei der Aufklärung der Morde der Zwickauer Terrorzelle NSU an acht Menschen türkischer Herkunft, einem Griechen und einer Polizistin. Fünf der Morde wurden in München und Nürnberg begangen. Die 110 Konferenzteilnehmer seien, so Mensing, erschüttert gewesen von dem Bericht Yavuz Narins, des Rechtsanwalts einer betroffenen Familie. Es sei der Eindruck entstanden, dass im Gegensatz zum Untersuchungsausschuss des Berliner Parlaments das entsprechende Gremium in Bayern Ermittlungspannen vertuscht. Von einer schonungslosen Offenheit, die Bundeskanzlerin Merkel den Angehörigen der Opfer versprochen hat, könne in Bayern keine Rede sein. Aber genau dieses Versagen müsse deutlich benannt werden, sagt Mensing. Erinnerung sei für die Opfer immer nur dann eine Hilfe, "wenn wir das eigene Versagen mit hinein nehmen" - sowohl im Umgang mit der Nazivergangenheit als mit dem aktuellen Rechtsextremismus.

Die Diskussion in Nürnberg ging auch über die Frage, welche Konsequenzen aus der Gedenkstättenarbeit in Dachau für den Umgang mit den NSU-Morden gezogen werden müssten. Eine wirkliche Hilfe für die Angehörigen der NS-Opfer oder die KZ-Überlebenden selbst ist es laut Mensing nur dann, wenn nicht nur summarisch, sondern namentlich und biografisch erinnert wird. "Das Leben der Opfer vor der Ermordung muss in den Blick kommen." Etwa wie das in dem Projekt "Namen statt Nummern" geschieht. Die Versöhnungskirche will nun anstoßen, dass gegen die rassistische Stimmungsmache in der Mitte der Gesellschaft bei Gedenkfeiern auch der Opfer von Neonazigewalt gedacht wird. Das sei bisher in Dachau nicht verankert, sagt Mensing. Er müsse sich da auch an der eigenen Nase fassen. Zwar habe er das als Pfarrer in Bayreuth getan, aber in Dachau nicht. Bis auf vergangenen Totensonntag: Im Gottesdienst gedachten die Besucher namentlich der zehn mutmaßlichen NSU-Opfer, über deren Leben Pfarrer Mensing sprach.

© SZ vom 04.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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