Letzte Ruhestätte:Das Aussterben der Sarggräber

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Urnengräber sind auch auf dem Dachauer Waldfriedhof beliebt. (Foto: Toni Heigl)

Neue Trends in der Bestattung verändern auch den Dachauer Waldfriedhof. Die Grabreihen werden lichter. Wie sich die Begräbniskultur verändert, erzählen ein Bestatter und eine Friedhofswärterin.

Von Morris Zalesjak, Dachau

Wer über den Dachauer Waldfriedhof schlendert, begegnet neben zutraulichen Eichhörnchen auch Menschen, die sich um die Gräber ihrer Angehörigen kümmern. Unter einer großen Tanne redet ein älterer Mann am Grab mit seiner verstorbenen Frau und klagt ihr seine Sorgen. Tausende Menschen wurden hier schon begraben, junge und alte, viele der Beisetzungen hat Elke Brunner organisiert. Sie ist eine von zwei städtischen Friedhofswärtern auf dem Waldfriedhof. Seit drei Jahren sieht die 56-Jährige hier "nach dem Rechten", wie sie sagt. Das sei nicht immer ganz leicht.

Bei einem Spaziergang über die mit Laub bedeckte Ruhestätte wird klar warum. Immer wieder zeigt Brunner auf Leerstellen zwischen den Gräbern. "Viele Leute entscheiden sich dafür, die Gräber aufzulösen", sagt sie. Nur wenige kämen nach, um die Plätze zu übernehmen. Das verändert das Erscheinungsbild des Friedhofs, der für viele Menschen auch Teil des Stadtbildes ist. "Ein Friedhof ist immer auch kommunale Geschichte", sagt Elke Brunner.

Der Waldfriedhof unterteilt sich in 28 Sektionen, jede ist mit einem entsprechenden Stein markiert, auf dem eine Zahl in römischen Ziffern steht. Auf dem alten Teil, mit den Nummern zwei und drei, stehen noch viele alte oder historische Gräber unter hochgewachsenen Tannen. Oft sind es Holzkreuze mit Fotos, die an die Verstorbenen erinnern. "Auch hier ist es schon bisschen zerpflückt", sagt Brunner und zeigt auf Lücken zwischen den Kreuzen und Gedenktafeln. Dieses Bild wird sich während des Spaziergangs noch öfter zeigen. Einer der Hauptgründe sind laut Brunner die Kosten der Grabstätten, aber auch die gesellschaftliche Veränderung, wie Menschen bestattet werden wollen. "Im Internet sehen die Leute viele Alternativen zur klassischen Sargbestattung oder der Gedenktafel mit Urne."

Elke Brunner ist seit drei Jahren Friedhofswärterin in Dachau. (Foto: Toni Heigl)
Die Leerstellen werden mehr, nicht nur auf dem Waldfriedhof. (Foto: Toni Heigl)
Kreisförmig angeordnet liegen die Grabplatten unter den Bäumen im westlichen Teil des Waldfriedhofs. (Foto: Toni Heigl)
In der Abteilung 28 sind die Baumgräber zu finden. (Foto: Toni Heigl)

Seit 2017 sind Baumbestattungen auf dem Waldfriedhof möglich - diese Alternative ist laut der Friedhofswärterin sehr gefragt. Die Baumgräber befinden sich in der Sektion 28 im westlichen Teil des Friedhofs. Dort werden die Urnen um einen Baum herum vergraben. Dutzende kleine Gedenktafeln aus Stein sind in der Wiese eingelassen. Viele sind mit Laub bedeckt, sehen ein bisschen aus wie Stolpersteine und liegen kreisförmig angeordnet um die Bäume herum. Sechs gelbe Wimpel markieren Stellen, an denen bald Beisetzungen stattfinden. "In der gleichen Zeit habe ich genau ein neues Grab eröffnet", sagt Brunner und meint damit die klassischen Sarggräber. "Das ist eine große Veränderung auf unserem Friedhof. So etwas hätte es früher nicht gegeben", sagt sie. Eine Baumbestattung ist nicht nur kostengünstiger als die klassische Erdbestattung im Sarg, sondern bedeutet bei der Grabpflege auch weniger Aufwand für Angehörige.

Sterben muss man sich leisten können

Dass Begräbnisse in der Regel mit einem großen finanziellen Aufwand verbunden sind, weiß jeder, der schon mal eines organisieren musste. Mehrere tausend Euro können dafür fällig werden, je nach Aufwand und Art der Bestattung. Robert Kraus ist Inhaber des gleichnamigen Bestattungsunternehmens und erklärt, dass ein Großteil der Kosten durch den ständigen Bereitschaftsdienst der Bestatter entstehe. Sein Unternehmen ist 24 Stunden am Tag erreichbar. "Die Leute erwarten ja auch, dass wir die Toten so schnell wie möglich holen", sagt er. "Ich muss die Leute aber auch bezahlen, wenn gerade nichts los ist", sagt der Bestatter aus Prittlbach. Die Kosten für Transport, Sarg oder das Krematorium kämen noch hinzu.

Wer sich Grabschmuck in Form von Blumen oder Kränzen wünscht, landet schnell im fünfstelligen Bereich. Je nach Art des Begräbnisses kommen noch die Friedhofsgebühren obendrauf. Diese müssen für mindestens zehn Jahre bezahlt werden. Die Friedhofssatzung in Dachau sieht je nach Grab zwischen 60 und 223 Euro pro Jahr vor. "Viele suchen sich dann oft eine kostengünstigere Alternative, wie eben eine Baumbestattung", sagt der Bestatter. Aber auch dafür werden mittlere vierstellige Beträge fällig.

Die Gräber für Muslime sind nach Mekka ausgerichtet

Die Atmosphäre an den Baumgräbern am Waldfriedhof ist sehr friedlich. Still. Nur ein paar Vögel zwitschern in den kahlen Baumkronen. Friedhofswärterin Elke Brunner findet den Wandel gut. "Man muss auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren", sagt sie und deutet auf ein kleines Grabfeld auf einer Anhöhe. Seit 2017 gibt es auf dem Waldfriedhof auch eine Fläche für muslimische Gräber, die nach Mekka ausgerichtet sind.

Für Elke Brunner ist jede Beisetzung einzigartig. "Es ist ein Sakrament und es ist einmalig", sagt sie. "Wir bewerten das auch nicht, wenn jemand ein Grab auflösen will. Wir sind neutral", sagt sie. Der einzige Wermutstropfen sei, dass die kommunalen Einnahmen schwinden. Denn die Gebühren für Urnen- und Baumgräber bringen der Stadt wesentlich weniger Geld ein. Auf Nachfrage schreibt das Standesamt jedoch, dass man die Gebühren für diese Gräber in Zukunft anpassen wolle. Die Friedhofswärter und Friedhofsgärtner müssten schließlich bezahlt werden. Außerdem finanziert die Stadt mit dem Geld auch Sozial- oder Künstlergräber oder kümmert sich darum, dass sehr alte Grabstätten aus historischen Gründen erhalten bleiben.

Trotz der vielen Leerstellen findet Brunner: "Wir haben einen sehr schönen Friedhof." Sie ist stolz, als sie nach einer großen Runde in Richtung Ausgang marschiert. Sie lebe für ihre Arbeit auf dem Friedhof, sagt sie. Und wie sie selbst einmal begraben werden möchte, weiß sie auch schon.

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