Bislang galt eine Kaufurkunde über ein Waldstück bei Puchschlagen vom 3. März 1526 als das älteste Dokument im Stadtarchiv Dachau. Doch im Rathaus hat Stadtarchivar Andreas Bräunling in einer falsch betitelten alten Akte nun vier weitere Pergamenturkunden entdeckt. Eine stammt aus dem 17. Jahrhundert, die drei anderen sind aber noch wesentlich älter, nämlich aus dem Spätmittelalter. Genauer gesagt aus den Jahren 1409, 1435 und 1474. "So etwas gibt es nur ein Mal im Leben eines Stadtarchivars", sagt Bräunling begeistert, die Entdeckung sei für ihn "wie Weihnachten" und auch für die Stadt Dachau "von besonderem Wert".
Der ist vor allem ideeller Art, denn neue Erkenntnisse liefern die Dokumente nicht. Der Inhalt der drei älteren Schriftstücke war bereits zuvor bekannt gewesen durch die sogenannten Kopialbücher. Darin finden sich notariell beglaubigte Abschriften der Dachauer Urkunden von 1391 bis 1607, sozusagen Sicherungskopien. Ab 1607 konnten auch solche Abschriften als rechtsgültige Dokumente vorgelegt werden, wenn das ursprüngliche Schriftstück nicht verfügbar oder verloren gegangen war. "Das war eine Verwaltungsvereinfachung", erklärt Bräunling den Hintergrund. Bisher habe man angenommen, dass die wertvollen Originale aus dem 15. Jahrhundert in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) vernichtet worden seien, sagt der Archivar - wie so viele andere auch. Ein Irrtum, wie sich nun herausstellt.
Dem Chronisten August Kübler (1863-1936) und dem Dachauer Historiker Gerhard Hanke (1924-1998), der später selbst Stadtarchivar wurde, gebührt das Verdienst, dass Dachau überhaupt so ein Archiv hat. Davor seien die Akten "unsortiert gelagert" gewesen, berichtet Bräunling. Dass nicht schon seine "Vorgänger" auf die mittelalterlichen Dokumente stießen, liegt wohl daran, dass die Dokumente bereits Ende des 19. Jahrhunderts falsch abgelegt wurden und das auch noch unter einem "uninteressanten" Titel mit unvollständiger Datierung.
Im Aktenregister aus der Zeit um 1890 ist die Akte unter dem Schlagwort "Viktualienpolizei" von 1645 erfasst; die Viktualienpolizei ist der Vorläufer der modernen Lebensmittelkontrolle. Als Bräunling die Akte sichtete, fielen ihm die alten Pergamente in die Hand. Er wusste sofort, was er da gefunden hatte. Die alte Minuskelhandschrift zu entziffern, fiel ihm nicht schwer, "das ist mein Job". Alle vier Urkunden behandeln das Thema Wochenmarkt in Dachau, der früher immer am "Pfinztag", also am Donnerstag, abgehalten wurde. Der eigentliche Betreff der Akte lautet "Acta, die wiederumige erheb- und Frequentirung des Uralt Specialiter Gnädigst verwilligt- und privilegirten Wochen-Victualien- dan Viehe-Markts in dem Kurfrtl. Bann Markt Dachau Betrf".
Den Dachauer Wochenmarkt gab es schon um 1270
Mit Urkunden von 1409 und 1435 bestätigen Herzog Ernst (1373-1438) und im Jahr 1474 auch Herzog Sigmund (1439-1501) den Dachauern das Recht, diesen Wochenmarkt abzuhalten. In der vierten Urkunde von 1653 genehmigt Kurfürstin Maria Anna (1610-1665), den Dachauer Wochenmarkt wieder abzuhalten, der wohl durch die vorangegangen Kriegswirren aufgegeben worden war. Aus alten Steuerbüchern geht hervor, dass es den Markt bereits um 1270 in Dachau gegeben haben muss. Das Marktrecht war ein besonderes Privileg, das laut Bräunling bei Regierungswechseln vom jeweiligen Landesherren jedes Mal aufs Neue bestätigt werden musste. Die alten Urkunden sind also nicht nur ein archivarischer Schatz, für den "Markt Dachau" waren sie auch wichtige Dokumente. Der Markt bescherte Dachau Extra-Einnahmen durch Steuern und Standgebühren. "Das war ein Wirtschaftsfaktor", sagt Bräunling.
Nach dem Gesetz durften Waren in und um Dachau nur auf dem Markt in Dachau feilgeboten werden. So etwas wie private Hofläden waren verboten, bei Zuwiderhandlung drohten empfindliche Strafen; die Verkäufer riskierten, dass ihre Ware eingezogen wurde. Daher findet Bräunling die Urkunde der Kurfürstin Maria Anna von 1653 besonders interessant. Die Witwe des erst zwei Jahre zuvor verstorbenen Kurfürsten Maximilian I. hebt darin die "Marktpflicht" auf und verfügt, dass es fortan "einem ieden freygestelt sein solle, seine feilschafften in dem Landt an offentlichen Marckht zuetragen, wohin es Ime iedesmahlen gefehlig vnnd beliebig sein wierdet". Bräunling vermutet, dass die Marktpflicht schon damals, kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, "nicht mehr durchzuhalten gewesen" sei, weil sich große Teile der Bevölkerung längst unter Umgehung des Marktes anderweitig versorgten.
Eine Ausstellung mit den uralten Neuentdeckungen sei nicht geplant, sagt Bräunling. Bei Interesse könne man sie sich nach Voranmeldung aber im Stadtarchiv ansehen. Dass es im Zuge der laufenden Aktenerfassung nun zu weiteren spektakulären Funden kommt, hält der Archivar zwar für "nicht gänzlich ausgeschlossen, aber für extrem unwahrscheinlich". Sensationen gibt es nun mal nicht alle Tage.