Statistiken, die an der Realität vorbeigehen:Das Kreuz mit den Prognosen

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Die Schulbedarfsplanung im Landkreis gründet auf den demografischen Vorhersagen des Landesamtes für Statistik. Nur hat bisher keine davon gestimmt. Die Kommunalpolitiker machen ihrem Ärger darüber nun Luft.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Als Jan Kurzidim vom Bayerischen Landesamt für Statistik den Kreisräten in der Sitzung des Schulausschusses auf Power-Point-Folien darlegt, wie die Behörde ihre Bevölkerungsprognosen erstellt, platzt Gerhard Hainzinger (CSU) der Kragen. "Abschaffen sollte man dieses Amt", schimpft der Sulzemooser Bürgermeister in Richtung Kurzidim. "Keine Ihrer Prognosen hat gestimmt." Man brauche dringend andere Parameter für die Schulbedarfsplanung im Landkreis.

Der Grant der Dachauer Kommunalpolitiker auf das Landesamt für Statistik ist groß. Wenn es darum geht, neue Schulen zu bauen, kämpfen die Kommunalpolitiker im Landkreis gegen Zahlen, die ihrer Meinung nach wenig mit der Realität zu tun haben. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Landkreis ein neues Gymnasium oder eine Realschule braucht, orientieren sich das Kultus- und Finanzministerium laut Landrat Stefan Löwl (CSU) aber vordergründig an den Zahlen des Landesamtes, als wären diese der "heilige Gral", wie Löwl sagt. Die Zahlen, welche die Kreisverwaltung selbst erhebe und die genauer seien, würden dagegen nicht angenommen. "Für unsere Schulplanung ist das eine Katastrophe", sagt Wolfgang Offenbeck (CSU). "Die Bevölkerung ist sauer, weil wir immer zu spät dran sind."

Wenig aussagekräftige Prognosen

In der Vergangenheit haben die Zahlen des Landesamtes bei den Kreisräten immer wieder zu Unmut geführt, weil sich die Prognosen alljährlich überholen. 2011 sagten die Demografieforscher voraus, dass die Einwohnerzahl des Landkreises die 150 000-Marke im Jahr 2031 überschreitet. Tatsächlich lebten 2017 bereits 152 700 Menschen im Landkreis.

Auch wegen der wenig aussagekräftigen Prognosen hinkt der Landkreis beim Schulbau dem tatsächlichen Bedarf hinterher. Die Gymnasien in Dachau und Markt Indersdorf platzen aus allen Nähten. Das vierte Gymnasium baut der Landkreis gerade zusammen mit der Stadt München in Karlsfeld. Ginge es nach den Kreisräten, entstünde das fünfte Gymnasium besser heute als morgen. Auf einen Standort hat man sich bereits geeinigt: Bergkirchen. Die Zustimmung der Ministerien steht noch aus.

Es geht immer um viel Geld

Es geht immer um viel Geld. Jede Schule kostet eine hohen zweistelligen Millionenbetrag. Doch zu schätzen, wie viele Menschen in 20 Jahren im am schnellsten wachsenden Landkreis Bayerns leben werden, ist ungefähr so, als würde man das Wetter für die nächste Woche vorhersagen wollen. Man kann zwar davon ausgehen, dass künftig mehr Kinder und Jugendliche im Landkreis leben werden. Wie viele genau - das weiß aber keiner so genau, auch das Landesamt für Statistik nicht.

Jan Kurzidim vom Landesamt für Statistik ist in den Schulausschuss eingeladen worden, um die Methode zu erklären, mit welcher das Landesamt demografische Vorhersagen errechnet. Er erklärt die Gründe, warum die Prognose des Landesamtes aus dem Jahr 2011 von der Realität so weit entfernt ist. Er nennt den Wirtschaftsboom in der Region, die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die EU-Mitgliedsstaaten Kroatien (2015), Rumänien und Bulgarien (2014) sowie die Fluchtzuwanderung wegen des Syrienkrieges. "Diese Fakten kannten wir im Jahr 2011 nicht", sagt er. Die Berechnungen des Landesamtes würden nur aufzeigen, wie sich die Bevölkerungszahl entwickle, "wenn alles so weiterläuft wie bisher". Diese seien eher ein "Signalgeber" für die Politik. Kurzidim gibt den Kreisräten recht: Als Entscheidungsbasis des Ministeriums für den Bau weitere Schulen seien die Prognosen nur "bedingt geeignet".

Die Kreisräte bitten den Statistiker, das den Ministerien mitzuteilen. Die würden sich nämlich auf die Zahlen des Landesamtes versteifen, sagt Eva Rehm (CSU). Marese Hofmann (Grüne) sieht ein "großes Versagen seitens der Ministerien" in der Schulpolitik. Und der Vierkirchner Bürgermeister Harald Dirlenbach (SPD) fordert, statt auf die Prognosen besser auf den "gesunden Menschenverstand" zu vertrauen.

© SZ vom 28.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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