Theater:Atemlos

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Das Theater der Jugend beim ASV Dachau inszeniert die Komödie "Die Physiker" von Friedrich Dürrenmatt als Albtraum und damit als Akt des Widerstands gegen die permanente Zerstörung der Welt

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Jetzt ist die geschlossene Abteilung wirklich ein bedrückendes Gefängnis, weil das Bühnenbild mit den drei Zimmertüren ganz nach vorne auf die Bühne zu den Zuschauern hin rückt. Der Spielraum für die drei vermeintlichen geisteskranken Physiker wird wortwörtlich eng. Und dann kommt sie, die blonde Psychiaterin Doktorin von Zahnd. Mit ihrer schwarzen Hornbrille ist sie der Inbegriff rationaler Distanziertheit und geradezu der Typ der Göttin in Weiß. Es folgt ihr Auftritt, der zu ihrem großen Triumph in der Dürrenmatt-Komödie "Die Physiker" werden soll. Den Augenblick der vollständigen Herrschaft über diese drei Geistergrößen der Naturwissenschaften will sie genießen - und offenbart ihre Geisteskrankheit.

Melanie Schain lässt Doktorin von Zahnd atemlos nach Luft schnappen und steigert die Figur in die Überhöhung hinein. Wie eine Göttin steht sie auf einem Podest. Ihren Monolog schraubt sie hinauf zu einer Mixtur aus kalter Berechnung, gnadenlosem Racheengel und ekstatischer Selbstdarstellung. Am Ende ist klar: Das Intrigenspiel um die Weltformel des Dr. Möbius, der sich in einem Irrenhaus vor der Welt versteckte, um die Welt zu retten, nur eine Siegerin hat. Von Zahnd glaubt, im Auftrag des König Salomon zu handeln, was Physiker Möbius bloß vorgibt.

Die Verrückte ist die Psychiaterin Dr. von Zahnd (M. Schain).Unten: Möbius (S. Krühler), Einstein (N.Thoma), Newton (A. Langer) maßlos triumphiert. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Von diesem Moment an verdichtet sich die Aufführung der Theaterjugend des ASV Dachau zu einem großen Schauspiel. Eine geschickte Lichtregie taucht den Bühnenraum in psychedelische Farben, der weiß gehaltene Bühnenraum beginnt zu irrlichtern. Und jeder weiß, die Welt ist verloren. Dr. Möbius, den Stefan Krühler als unsicher-ängstlichen Pennäler spielt, muss sich mit seinem Schicksal abfinden, Urheber der kommenden Schreckens zu sein. Denn die Weltformel, das ist sicher, wird militärisch missbraucht werden. Newton, dem Alexander Langer den Anstrich des nur vermeintlich überlegenen Schnösels verleiht, sieht sich geschlagen. Und Einstein, den Nadine Thoma fahrig, aber doch als eiskalte Figur darstellt, bleibt nichts übrig, als weiter die Kreutzersonate zu spielen. Dazu ertönt am Ende das "Liebesleid" von Fritz Kreisler.

Die Komödie von Friedrich Dürrenmatt zählt zu den erfolgreichsten Theaterstücken der Nachkriegszeit. Dabei ist der Begriff "Komödie" schwierig. Es gibt nicht sehr viel zu lachen, eher zum Staunen und zum Wundern, wie die Begriffe "verrückt", "normal", "gesund" oder "krank" ihren Sinn verlieren. Zwei Geheimagenten, selbst Physiker, nisten sich in der Klinik ein und geben vor, Einstein und Newton zu sein. Sie wollen Möbius die Weltformel entreißen. Was sie alle nicht wissen, nicht einmal ahnen: Doktorin von Zahnd weiß um die Existenz ihres Geheimnisses und entreißt es Möbius. Hätten die drei von der Hinterhältigkeit erfahren, hätten sie ihre Krankenschwester, die sie betreuten, nicht töten müssen. Die Angst vor der Entlarvung wäre gegenstandslos geworden. Dann hätte Möbius auch seine Familie nicht brüsk abweisen müssen.

Die Jugend des Theaters am Stadtwald bindet die Komödie in einen wissenschaftskritischen Kontext ein, indem sie zu Beginn eine Art Manifest über die Folgen wissenschaftlicher Entdeckungen auf die Bühne reflektiert. Am Ende meinten einige Zuhörer, dass die Aufführung ganz hervorragend gewesen sei, vor allem wenn man bedenke, dass es sich um Laien und junge dazu handle. Die Einschränkung braucht es nicht, auch wenn gerade der erste Teil des Zweiakters als Konversationsstück angelegt ist - mit teils schwierig zu spielenden Dialogen zwischen Ironie und Sarkasmus, wie er jungen Menschen fremd ist.

Das Dürrenmatt-Stück steckt voller philosophischen Fragen über die Folgen von Entdeckungen und die Kommunikation von Wissen, das unaufhaltsam seine Bahnen in die Öffentlichkeit hinein zieht. Das Theater der Jugend hat eine neue Perspektive für die Komödie gefunden. Es inszeniert sie als Albtraum, von dem es sich nicht gefangen nehmen lassen will. Das ist Theater als Akt des Widerstands. Und am Ende steht in schwarzen Lettern geschrieben: "Eine Geschichte ist dann zu Ende, wenn sie die schlimmste Wendung genommen hat." Muss sie ja nicht sein.

© SZ vom 18.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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