Dachau:Schloss mit Meerblick

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Wie ein Kunstwerk die Adria ganz nah an Dachau heranrücken lässt

Von Gregor Schiegl, Dachau

Der Dachauer Schlossgarten ist ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen. Man hat einen schönen Blick über die Dächer der Stadt bis nach München und bei gutem Wetter sogar bis in die Alpen hineinein. Jüngst wurde Johannes Karl, Vorsitzender der Künstlervereinigung Dachau, Zeuge, wie zwei Kinder das Aussichtfernrohr an der Schlossmauer in Beschlag nahmen. Der Größere der beiden Jungs blickte durchs Fernrohr und sagte: "Ich seh' das Meer." Woraufhin der daneben stehende kleinere selbstbewusst erklärte: "Ich auch!" Johannes Karl hat sich darüber sehr amüsiert. Wann gelingt einem schon mal so ein Kunststück, die Adria in Sichtweite an die Große Kreisstadt zu rücken?

Beim Blick durchs Fernrohr erkennt man über Dachaus Baumwipfeln einen sonnenbeschienenen Strand, sacht ausrollende Wellen und flanierende Menschen in Badebekleidung. Im Inneren des präparierten Rohrs läuft ein Film ab, ein "Seestück". So heißt das Kunstwerk, das Johannes Karl für die Freiluftausstellung "Raus" ausgeheckt hat. Wer nicht durchguckt, käme nie auf die Idee, dass das ein Kunstwerk ist.

Inzwischen wurden orangerote Punkte mit dem Schriftzug "Raus" vor alle "Points of Interest" gesprayt, was im Schlossgarten schon deshalb besonders wichtig ist, weil es an der Ecke des Gartens auch noch ein Ausguckrohr gibt, dessen Horizont tatsächlich nicht weiter reicht als bis zum Dachstein. Da kann man noch so lange durch starren: Meer kommt da nicht.

Bei der Freiluftausstellung gibt es viele Werke, die einen ob ihrer Buntheit oder Größe regelrecht anspringen, etwa die 40-Meter-Holzsprungschanze von Christian Engelmann am Rathausberg. Aber es gibt auch einige Werke, die erst einmal entdeckt werden wollen und die man finden muss. Am Unteren Markt steht ein betongrauer eckiger Kasten, irgendjemand hat schon ein Graffiti darauf hinterlassen. Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine Streukiste. Aber auf einer Streukiste bringt man kein Warnschild auf, "Betreten verboten", man baut auch kein flaches Guckfenster ein. Auch hier lohnt ein Blick ins Innere. Veronika Veit zeigt filmisch, wie es "Im Bunker" zugeht: eine beklemmend absurde Familienidylle hinter fensterlosen Mauern. Die Kinder lernen Karate und Latein: "societas non est". Es gibt keine Gesellschaft, es gibt nur die Familie; und die ist total. Die Mutter in hochhackigen Schuhen und gelben Gummihandschuhen kocht und putzt fanatisch - was einem kleinen Hund zum Verhängnis wird. Der Vater ist der Ernährer, ein Taucher im nassen Neopren-Outfit, der frischen Fisch und alte Dosen, offenbar Fundstücke aus dem Meer, vorbeibringt.

Perfekt getarnt ist auch Ullrich Hochmanns "Modula" auf dem Rathausbalkon. Die graue Skulptur aus beweglichen Granitgliedern windet sich über die ebenso graue Balustrade. Wenn man nicht weiß, wo man hinschauen muss, übersieht man selbst ein Vier-Meter-Kunstwerk. Manche Ausstellungsstücke kann man aber auch gar nicht finden, weil sie nur temporär zu sehen sind. Das gilt insbesondere für Florian Marschalls "Vögel" im schmalen Treppenaufgang vom Kochwirt zur Hexengasse. In irrsinniger Kleinstarbeit hat der Grafiker mehrere hundert Einzelbilder eines Schwarms gezeichnet, der sich aus dem Geäst der Bäume in den Himmel schwingt. Als 18-Sekunden-Loop, der ein bisschen ruckelt, um die Anmutung einer Amateur-Naturaufnahme zu erzeugen, wird er an die Decke des Durchgangs projiziert. Allerdings muss der Projektor immer mal wieder ausgeschaltet werden, damit er abkühlen kann. Abends ruhen die Vögel. Aber die Ausstellung dauert ja noch eine Weile. Die Werke im Freien bleiben bis 13. September stehen.

© SZ vom 06.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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