Literaturfestival:Von der schwierigen Metamorphose des Erwachsenwerdens

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Ana Marwan liest im Thoma-Haus aus ihrem Coming-of-Age-Roman "Verpuppt". (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die slowenische Bachmann-Preisträgerin Ana Marwan stellt bei "Dachau liest" ihren Roman "Verpuppt" vor. Sie unterhält das Publikum dabei mit ihrem trockenen Humor und plädiert für mehr sinnlose Treffen.

Von Anna Schwarz, Dachau

Ihr eigener Alltag sei die Quelle für ihr Schreiben, erzählt die slowenische Schriftstellerin und Bachmann-Preisträgerin Ana Marwan, Jahrgang 1980, nach ihrer Lesung am Mittwochabend beim Literaturfestival "Dachau liest" im Thoma-Haus. An diesem Abend trägt sie ein schwarz-weißes Kleid mit Halsschleife, trinkt ein Glas Prosecco und sagt: "Es sind die Menschen, die mich inspirieren." 2022 gewann sie mit ihrer Erzählung "Wechselkröte" eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschen Raum, den Ingeborg Bachmann-Preis, und signiert jetzt ihr Buch "Verpuppt".

Die Hauptrolle spielt darin Protagonistin Rita in ihren Zwanzigern, sie ist auf der Suche nach ihrer eigenen Identität, dem Sinn des Lebens und der Wahrheit. Zwar betont Autorin Ana Marwan bei der Lesung immer wieder, dass ihr Coming-of-Age Roman nicht autobiografisch sei und kichert dabei, sie meint das aber auch ironisch, wie sie später im Foyer erzählt.

Auf den Buchtitel "Verpuppt" geht die Festival-Organisatorin und Leiterin der Stadtbücherei, Slávka Rude-Porubská, bei ihrer Begrüßung ein: Auch die Lebensphase des Erwachsenwerdens gleiche einer Verpuppung von Insekten, sagt sie. Denn einerseits könne diese Lebensphase gewaltig aber auch faszinierend sein, und nicht nur die äußere Gestalt verändere sich: "Auch im Inneren passiert viel." Im Hinblick auf die Protagonistin sagt Rude-Porubská: "Rita scheint der Realität abhandengekommen sein."

Bei "Dachau liest" sprechen Ana Marwan und Moderatorin Hana Stojić auch über ihr eigenes Erwachsenwerden. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Denn Rita tut sich schwer, in der realen Welt Kontakte zu knüpfen, liest lieber Bücher und verliebt sich in den rund 30 Jahre älteren Herrn Jež. Daraufhin lässt Ritas Mutter sie in eine psychiatrische Klinik einweisen. Doch im Buch lässt Autorin Marwan offen, ob Ivo Jež wirklich existiert und ob die Geschichte in einer geschlossenen Psychiatrie oder doch in der Raumfahrt-Abteilung des Ministeriums für Verkehr spielt. Ana Marwan lässt der Fantasie ihrer Leserinnen und Leser freien Raum, ihr Buch sei ganz bewusst eines "gegen in Stein gemeißelte Wahrheiten", erzählt sie.

"Man hat zumindest noch die Vision, dass alles möglich ist"

Im Gespräch mit Moderatorin Hana Stojić, die aus Berlin angereist ist, spricht Marwan auch über ihr eigenes Erwachsenwerden. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaft in Ljubljana sowie Romanistik in Wien und erzählt, dass sie und einige Kommilitonen nach dem Studium erst mal sehr desorientiert gewesen seien, viele hatten lange noch keinen klaren beruflichen Weg im Kopf: "Das Erwachsenwerden hat sich also in die Länge gezogen", wie bei einer Larve: "Einerseits ist das langweilig, aber man hat zumindest noch die Vision, dass alles möglich ist", erzählt sie ruhig und bringt das Publikum aus rund 30 Zuhörerinnen und Zuhörer mit ihrem trockenen Humor immer wieder zum Lachen.

Ihr Humor sei einer ihrer Lieblingsabwehr-Mechanismen, sagt Marwan. Bei der Lesung plädiert sie unter anderem für mehr "sinnlose Treffen", die weder zu einer Liebesbeziehung führen oder die berufliche Situation verbessern: "Ich finde es schade, dass wir uns in eine Zelle von vier Familienmitgliedern plus Hund, einsperren." Auch die Lesung beendet sie mit dem Satz, dass sie einmal gehört habe, dass sich Menschen schwer länger als 17 Minuten konzentrieren könnten, daher wolle sie das Publikum nun nach 70 Minuten "freilassen".

Besucherin Luise Finger lobt anschließend das Dachauer Lesefestival: "Es ist schön, dass es das nicht nur in München gibt und auch anspruchsvolle Literatur vorgestellt wird." Sie will wiederkommen.

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