Ausstellungen:Ein Ultra-Marathon der Kultur

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In der Kleinen Altstadtgalerie staunt man vor den Bildern von Toshke und Rebecca Winhart und lauscht dabei einem Gitarristen bei der langen Nacht der offenen Türen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Bei der langen Nacht der offenen Türen zeigt die Dachauer Kulturszene, was sie zu bieten hat. Nebenbei kann man Filz bedrucken und beim Semmelnbacken zuschauen.

Von Petra Neumaier, Dachau

Die Beine sind bleischwer. Und die Jackentasche prall gefüllt mit Informationen - genauso wie der Kopf. Der all die vielen beeindruckenden Kunstwerke und Gespräche kaum verarbeiten kann. Was für eine lange Nacht: 28 Galerien, Museen, Ateliers und Werkstätten haben am Freitagabend von 19 bis 24 Uhr geöffnet, zum 17. Mal und organisiert vom Verein "Dachauer Wasserturm" - ein Ultra-Marathon der Kultur, wollte man sie alle in den fünf Stunden besuchen. "Ich bin froh, wenn ich bei fünf oder sechs Ausstellungen vorbeischauen kann", beruhigt selbst Kulturamstleiter Tobias Schneider.

Zuerst mal zur Galerie der KVD Galerie. Vernissage der Ausstellung "Im Fluss" von Florian Marschall und Lothar Reichel. Strahlende Gesichter, perlender Sekt im Glas, an den Wänden wunderschöne Fotografien entlang der Amper, Zeichnungen und eine Installation. Vor der Tür Live-Musik, die man am liebsten einpacken möchte. Nur leider kein Flyer, keine Übersicht, wo überall offene Türen sind. So stellt sich ein Gefühl ein, auf einer Schatzsuche mit unzureichender Karte zu sein, sich nicht auszukennen, aber nichts übersehen zu wollen.

In der KVD Galerie zeigen Florian Marschall und Lothar Reichel ihre Werke unter dem Titel "Im Fluss". (Foto: Niels P. Jørgensen)

Also dann zur Galerie Lochner. Der nette Kunsthändler erklärt die "informell-abstrakt-spontanen" Werke des 94-jährigen Wieners, Arnulf Rainer, der hier auch erstmals drei neue Werke ausstellt. Aber auch hier kein Flyer. Der ruht neben vielen anderen vor dem Tourismuscenter. Doch die Karte mit den Stationen der "offenen Türen" könnte ein Werk des gerade besuchten Künstlers sein: abstrakt-spontan, aber wenig informativ. Nur mit Mühe - und weil immerhin Schloss und Amper Anhaltspunkt bieten, lässt sich erahnen, wo hier die Straßen von Dachau skizziert sind. "Wer kein Dachauer ist und auch die Schauplätze der Langen Nacht nicht kennt, hat es wirklich schwer", seufzen später unisono viele Gastgeber.

In der Neuen Galerie lauschen rund 60 Besucher - darunter auch Landrat Stefan Löwl (CSU) - aufmerksam den Ausführungen der Kuratorin Jutta Mannes lauschen. Die sind ebenso interessant wie die Werke der beiden Künstlerinnen Christiane Fleissner und Astrid Busch zum Thema "Raum-Zeit-Falten", teilweise auf Tapete gedruckt und damit vergänglich, aber auch sehr beeindruckend.

Der Landrat war gerade da zum Bilder-Shopping

Wieder hinaus in die Schwüle des spätsommerlichen Vor-Herbstabends und hinein in die Werkraum-Ausstellung des Vereins "Behinderte und Freunde" - und zu spät. Der Landrat war gerade da und hat kräftig "geshopped" - die Bilder der Malgruppe von Künstlerin Brigitte Renner sind aber auch einmalig - und vom ersten bis zum letzten Pinselstrich lebendig ehrlich.

Kurze Verschnaufpause in der Volksbank bei einem erfrischenden Lillet und Knabberzeug - Familien mit kleinen Kindern betrachten hier die Kunstwerke von Karin Schuff, ebenso eine Gruppe junger Männer, denen man kurze Zeit später kichernd vor dem "Malweiberhaus" von Nina Schiffer mit ihren Kostümen und außergewöhnlich geschmückten, etwas lasziven Schaufensterpuppen begegnet. Gegenüber in der Kleinen Alstadtgalerie Staunen (vor den Bildern von Toshke und Rebecca Winhart) und Lauschen (dem Gitarristen). Dann Hinabtauchen in einen zufällig entdeckten schmalen, dunklen und nur ab und zu von ein paar Kerzen beleuchteten Pfad, der ins Atelier von Johann Brosch führt. Unheimlich. Wohltuend jedoch die Atmosphäre bei volkstümlichen Klängen zweier Musiker und umrahmt von sehenswerten Bildern.

Der Geruch von Druckerfarbe und frischen Semmeln

Die Kräfte schwinden, die Zahl der 10 000 täglich zu gehenden Schritte ist sicher längst erreicht. Aber nur ein Bruchteil der Spielorte sind besucht. Kurzbesuch im Wasserturm und in der Gemäldegalerie, beides für später merken, dann hinab in die untere Stadt. Auf der Thoma-Wiese, wo das Kult'23 Festival stattfindet, geht es musikalisch ab. In der Druckwerkstatt der KVD versetzt einen der Duft von Druckerfarbe, Stahl und Öl der alten Maschinen in vergangene Zeiten. Ebenso die Geschichten des technischen Betriebsleiters und Druckers, Dieter Faust. Der auch gleich demonstriert und anleitet: Den selbst bedruckten Bierfilzl mit der Aufschrift "Lange Nacht 2023" darf man mitnehmen.

Auf dem Weg zum Bezirksmuseum und der Sonderausstellung, durch die um 23 Uhr boch eine Führung geht, die Erkenntnis: 45 Minuten Rundgang? Nein, das schafft man jetzt nicht mehr - es sind aber viele Besucher da, die noch frisch wirken. Trotzdem geht man selbst noch durch die vielen Räume und ist genauso überrascht wie begeistert von der Vielfalt der Exponate. Was für wunderbare Schätze doch Dachau birgt.

Weil auf dem Programm des Museums der Besuch der Schaubäckerei steht, die bereits ab 23 Brot, Semmeln und Gebäck anfertigtn, fährt man doch noch hier vorbei. Und steht mit einer Traube von Menschen staunend und bewundernd vor dem Schaufenster und den fleißigen Bäckern. Was für ein Kraftakt, was für eine Schnelligkeit. Und was für eine Kunst! Morgen schmecken die Semmeln noch mal besser.

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