Kultur in Dachau:Jazz versus Küchenradio

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Zeigen in der Kulturschranne unfassbar variable Mittel der Klangerzeugung: Das MUC Chamber Art Trio mit Gunnar Geisse, Udo Schindler und Sebastian Gramss. (Foto: Toni Heigl)

Beim Konzert des "MUC Chamber Art Trio" in der Kulturschranne werden die Münchner Musiker von lauter Popmusik aus dem Küchenradio gestört. Trotzdem performen sie mit "klangerkundender Laborarbeit" und ihrem Entdeckergeist.

Von Andreas Pernpeintner, Dachau

In diesem Moment wünscht man sich fast das Schnitzelklopfen zurück, mit dem vor langer Zeit im einstigen Café Teufelhart mancher stille Moment auf der Bühne des Jazz e.V. aus der Küche um einen herzhaften Beat bereichert wurde. Von solchem Charme ist die Situation in der Kulturschranne weit entfernt, als die Schiebetür zur Küche geöffnet und das filigrane Konzert des MUC Chamber Art Trio mit plärrend lauter Popmusik aus dem Küchenradio geflutet wird. Man wartet gebannt, dass der Türmechanismus das Intermezzo beendet. Doch auch fortan ist die Popmusik im Hintergrund zu erahnen. Man könnte darüber schmunzeln, denn ein bisschen lustig ist das ja. Muss man aber nicht, denn vor allem ist es einer Kulturschranne unwürdig.

Ob der Schnitzelklopfer besser gepasst hätte als die Popmusik, ist die Frage. Er hätte der Musik etwas hinzugefügt, was sie nicht hat: Beat. Er hätte damit aber eine Komponente ergänzt, die diese Musik gar nicht braucht. Das Trio tritt ohne Schlagzeug auf, und es ist eine faszinierende Klangstudie, der man hier beiwohnt. Man darf sich dem Glauben hingeben, ein wirkliches Instant-Composing zu erleben, also eine Improvisation aus dem Moment heraus. Denn nichts deutet sichtbar auf kompositorische Vorfixierung hin. Doch dann ist es Saxofonist und Klarinettist Udo Schindler selbst, der beim abschließenden Werbeblock für die käuflichen Tonträger mitteilt, man habe an diesem Abend eine CD "eins zu eins runtergespielt", aber das meint er nur scherzhaft.

Wenngleich diese Musik keinen Beat hat, hat sie doch einen Puls. Denn so sehr die Darbietung wie eine große Klangkulisse wirkt, so sehr ist ihre musikalisch-dramaturgische Entwicklung konsequent nach vorne gerichtet. Wirklich spannend sind dabei die unfassbar variablen Mittel der Klangerzeugung. Am einfachsten zu beschreiben ist das noch bei Udo Schindler. Wenn er das Altsaxofon, das Sopranino oder die Bassklarinette spielt, zielt er auf subtile Geräuschhaftigkeit - mit wohlkalkuliertem Überblasen und einem feinen Spiel der Obertöne. Ein besonders breites und schönes Frequenzspektrum ergibt sich bei der Bassklarinette.

Musik ohne Beat, aber mit Puls

Sebastian Gramss am Kontrabass steht diesem Entdeckergeist in nichts nach. Lustig ist, dass bei ihm die Instrumentenbezeichnung "double bass" eine neue Bedeutung bekommt. Eigentlich nur die Übersetzung von "Kontrabass", ist der Begriff bei ihm wörtlich zu nehmen, denn sein Kontrabass hat unterhalb der normalen Saitenlage weitere Saiten gespannt. Somit ist dieser Bass gleichsam ein Doppelbass, und wie Gramss zwischen gezupftem Spiel und diversen Bogentechniken wechselt, ist beeindruckend. Wenn er sogar noch seinen zweiten Bogen nimmt, um damit den ersten rhythmisch gegen die Saiten klopfen zu lassen, entsteht ein flirrender Effekt irgendwo zwischen Bogenstrich und Col-legno-Spiel.

Besonders interessant aber ist, was Gunnar Geisse auf der E-Gitarre und dem Laptop beisteuert. Beide Geräte sind bei ihm zu einer Sound-Station verquickt. Leises akustisches Klimpern der Saiten lässt erahnen, dass er wirklich Gitarre spielt und einige Skalen blitzen hier und da auch auf. Vor allem aber steuert er mittels Gitarre und sonstigen Bedienoberflächen die Elektronik, streut gesampelte Klavier-Einwürfe ein, verleiht der Darbietung durch einen kraftvollen Klangteppich immer wieder orchestrale Breite. Dass Geisse während dieser klangerkundenden Laborarbeit mit seinen langen weißen Haaren an den Tüftler Doktor Emmett Brown aus "Zurück in die Zukunft" erinnert, ist ein ziemlich hübscher Nebeneffekt.

Denn auf gewisse Weise passt dieser Titel perfekt zur Musik dieses Trios: In ihrem oft auf der Geräuschebene angesiedelten Transformationsprozess enthält sie - obgleich auch mit akustischen Instrumenten erzeugt - starke Reminiszenzen an jene elektronische Musik, für die einst Avantgardekomponisten wie Karlheinz Stockhausen und Josef Anton Riedl an ihren Soundgeneratoren schraubten und deren klanganalytische Spektrogramme einem vor dem geistigen Auge als assoziierte Partitur vorüberziehen, wenn man der Darbietung des MUC Chamber Art Trio lauscht. Und dem Küchenradio.

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