Dachauer Integrationsbeirat:"Nur ein politisches Feigenblatt"

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Tanja Jørgensen-Leuthner will nicht länger einem Rat angehören, der, wie sie schreibt, als "Alibi für eine staatliche Vollzugsbehörde dienen muss". (Foto: Niels P. Jørgensen)

Tanja Jørgensen-Leuthner legt ihr Ehrenamt als Integrationsbeirätin nieder. In einem offenen Brief kritisiert sie die Unverbindlichkeit des Landkreis-Gremiums.

Die überraschende nächtliche Abschiebung einer nigerianischen Familie aus Karlsfeld erregt nicht nur landkreisweit die Gemüter, auch im Integrationsbeirat des Landkreises hängt deswegen der Haussegen schief. Dort hat Integrationsbeirätin Tanja Jørgensen-Leuthner nun ihr Ehrenamt niedergelegt. Warum? Das erklärt sie in einem offenen Brief.

Seit vier Jahren existiert das Gremium, das auch Anträge im Kreistag stellen kann und die "Stimme der vielfältigen Bevölkerung" im Landkreis sein soll. Dies ist der Beirat nach Ansicht von Tanja Jørgensen-Leuthner aber nur sehr bedingt: In der Lebenswirklichkeit fehle diese Stimme "genau dort, wo es schwierig wird", denn die Beschäftigung mit Einzelschicksalen sei nicht vorgesehen. "In seiner Unverbindlichkeit wird der Beirat so zu einem politischen Feigenblatt in einem Landkreis, dessen Ausländerbehörde gleichzeitig mit unbarmherziger Härte gegen Menschen vorgeht, die ihre Integrationsbereitschaft mehr als deutlich gezeigt haben", so Jørgensen-Leuthner weiter.

Solche Abschiebungen erzeugen ein "Klima der Angst"

Sie kritisiert die "besonders inhumane Vorgehensweise" im Fall der nigerianischen Familie und betont: "Mit solchen Aktionen wird unter all denen, die hier bei uns auf einen sicheren und geschützten Aufenthalt hoffen, ein Klima der Angst erzeugt." Das gelte auch für den Umgang einiger Mitarbeiter des Ausländeramtes mit deren Klienten. "Immer wieder berichten Asylbewerber von willkürlicher Behandlung und einschüchternden Umgangsformen", schreibt Jørgensen-Leuthner. Auch verschiedene Helferkreise hätten sich schon häufig darüber beklagt, und auch ihr seien mehrere Fälle persönlich bekannt. Sie stehe jederzeit für Integration, aber nicht in einem Gremium, das "quasi als Alibi für eine staatliche Vollzugsbehörde dienen muss".

Landrat Stefan Löwl (CSU) bedauerte auf Nachfrage, dass Jørgensen-Leuthner vor ihrem Ausscheiden nicht das Gespräch gesucht habe, weder mit dem Landratsamt, noch mit dem Integrationsbeirat selbst. Er habe durchaus Verständnis, schließlich sei das eine "hochemotionale Thematik". Allerdings sei es nicht Aufgabe des Integrationsbeirats, über ausländerrechtliche Maßnahmen zu entscheiden, sondern die Integration der Menschen mit Migrationserfahrung zu fördern. "Das sind staatliche Entscheidungen, die noch nicht einmal vom Landratsamt getroffen werden", so Löwl.

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