Dachau:Geborgen in einem Haus mit Geschichte

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In den Anfangsjahren wurden im Kindergarten Nazareth 200 Schützlinge verwahrt, heute können sich die Buben und Mädchen dort frei bewegen. Am Samstag feiert die Einrichtung ihr 90-jähriges Bestehen

Von Petra Schafflik, Dachau

In den holzgetäfelten Raum fällt das Licht durch fein gegliederte Sprossenfenster, in den Flur geht es durch sorgfältig abgelaugte historische Holztüren. Schon auf den ersten Blick ist erkennbar, dass der Kindergarten Nazareth an der Ludwig-Thoma-Straße kein Neubau mehr ist. Tatsächlich wurde das Haus, das zentral am Fuß der Altstadt liegt, schon 1928 errichtet als "Kinderheim", wie es damals geheißen hat. Seitdem wurde das Gebäude, das seit 1975 die Caritas als Träger führt, natürlich einige Male modernisiert und umgebaut. Dennoch bleibt die lange Geschichte spürbar, sagt Leiterin Lisa Weigl. Und das ist keinesfalls ein Nachteil. "Es ist ein altes Haus, in dem sich die Kinder gleich heimelig fühlen."

Wohl fühlen sollten sich auch die vielen Mädchen und Buben, die schon ab 1918 in einem Kinderheim und Behelfskindergarten betreut wurden, der in einem alten Häuschen an der damaligen Steinmühlstraße untergebracht war. Errichtet wurde diese Vorläufer-Einrichtung des Kindergartens Nazareth vom 1917 gegründeten Verein Kinderschutz. Die Initiative ging von Oberst Johann Hofmann aus, dem Direktor der Pulver- und Munitionsfabrik. Die neue Einrichtung war damals die zweite Kinderbetreuung in Dachau. Denn bereits seit 1882 gab es eine sogenannte Kleinkinderbewahranstalt bei der Klosterschule, den heutigen Klosterkindergarten. In beiden Einrichtungen kümmerten sich Nonnen des Münchner Frauenordens der Armen Schulschwestern um die Mädchen und Buben, deren Mütter in der Papierfabrik oder auch der 1916 neu errichteten Pulver- und Munitionsfabrik arbeiteten.

"Kinder, Eltern und Mitarbeiter sollen sich hier wohl fühlen": Kindergartenleiterin Lisa Weigl mit ihren Schützlingen. (Foto: Toni Heigl)

Weil die Zahl der Kinder von Jahr zu Jahr stieg, wurde für den Kindergarten Nazareth 1928 am Fuß der Altstadt direkt neben der Ludwig-Thoma-Wiese ein Neubau errichtet. Das Grundstück stellte die Marktgemeinde zur Verfügung, der Bau kostete 52 000 Mark, wie die Leiterin Schwester Maria Guido in der Chronik vermerkt hat. Aus ihrer Niederschrift lässt sich auch ablesen, dass dieser Kindergarten von Anfang an ein Projekt war, hinter dem die Bürgerschaft stand. Denn immer wieder vermerkt die Chronik akribisch finanzielle Zuwendungen, damals hochwillkommene Lebensmittelgeschenke und unentgeltlich geleistete Handwerkerarbeit.

Das 1928 eröffnete Haus schuf dann Raum und Entfaltungsmöglichkeiten. "Die große Kinderzahl konnte in zwei Zimmer geteilt werden", sagt Schwester Guido. Bald wurden 200 Kinder in drei Gruppen von ebenso vielen Schwestern betreut. Bis in die 1980er Jahre waren Klosterschwestern in Nazareth tätig, die Trägerschaft übernahm vom Verein Kinderschutz 1975 die Caritas, die nach wie vor die Einrichtung organisiert.

Wer den Kindergarten jetzt betritt, mag sich wundern, wie viele Mädchen und Buben hier in den Anfangsjahren einmal betreut wurden. Denn heute spielen, lernen, toben und basteln im Haus 77 Mädchen und Buben, um die sich zehn Pädagoginnen kümmern. Längst hat sich die Bewahranstalt zur Bildungseinrichtung gewandelt. Wichtig ist Leiterin Lisa Weigl, "ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Kinder, Eltern und Mitarbeiter wohl fühlen." Gegenseitige Wertschätzung ist die Basis, "damit wir alle mit Freude den Alltag durchleben." Natürlich werden in der Einrichtung eines kirchlichen Trägers die christlichen Feste im Jahreskreis gefeiert und auch besprochen. Aber die Kita besuchen Kinder aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, so dass andere Religionen und zum Beispiel auch muslimische Feste ebenfalls Thema sind. Breit gefächert ist auch die Vorbereitung auf die Schule, nicht nur Sprachförderung steht im Mittelpunkt, sondern auch logisches Denken und naturwissenschaftliche Experimente. Und obwohl die Einrichtung mitten in der Stadt liegt, gibt es hinter dem Haus einen idyllischen Obst- und Gemüsegarten, in dem die Kinder Tomaten und Beeren pflanzen, pflegen, ernten und natürlich naschen.

Der Kindergarten Nazareth am Fuße der Altstadt blickt auf eine 90-jährige Geschichte zurück. Hinter dem Haus liegt ein idyllischer Obst- und Gemüsegarten. (Foto: Toni Heigl)

In den Kindergartenalltag wirkt auch die Struktur des alten Gebäudes und die lange Tradition der Einrichtung hinein. Weil es im Haus zwar mehr, dafür kleinere Räume gibt als in modernen Kitas, arbeitet das Team nach einem teiloffenen Konzept. Das ermöglicht es den Mädchen und Buben, ihren Bewegungsdrang auszuleben, da sie sich nicht nur in ihrem Gruppenraum, sondern recht frei im gesamten Haus aufhalten können. Und weil es den Kindergarten Nazareth, im Gegensatz zu den vielen ab den 1990er Jahren neu gebauten Einrichtungen, schon sehr lange gibt in Dachau, haben oft schon die Eltern, manchmal sogar Oma oder Opa ihre Kindergartenzeit hier verlebt. Daraus erwächst eine besondere Verbundenheit und auch Zusammenarbeit mit den Familien. "Es ist schön, wie sich immer wieder Verbindungen knüpfen", betont Weigl. Deshalb feiert das traditionsreiche Haus jetzt auch seinen 90. Geburtstag am Samstag mit einem Jubiläumsfest für die Familien, Mitarbeiter, Freunde, Förderer und geladene Gäste.

© SZ vom 08.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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