Geburtstag:Das wandelnde Gedächtnis der Stadt

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Der Verein Dachauer Gästeführer, der seinen 20. Geburtstag mit einem Fest am Wasserturm gefeiert hat. (Foto: Toni Heigl)

Der Verein Dachauer Gästeführer feiert sein 20-jähriges Bestehen mit einer Party am Wasserturm. Als Gäste dabei: Dachauer Persönlichkeiten aus der Vergangenheit.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Sie zeigen Besuchern und Einheimischen die Schönheiten von Dachaus Schloss und Hofgarten; sie sprechen an Orten der Erinnerung über die Scheußlichkeiten des Nazi-Terrorregimes. Sie kennen jeden, der einmal in der Künstlerkolonie Dachau gemalt (und gefeiert) hat. Sie wissen über die Industriegeschichte ebenso Bescheid, wie sie sich mit den feinen Verästelungen der bayerischen Sprache auskennen. Die Dachauer Gästeführerinnen und ihre wenigen männlichen Kollegen sind sozusagen das wandelnde Gedächtnis der Stadt und zugleich hellwache Beobachterinnen aktueller Entwicklungen, die - für sie selbstverständlich - Eingang in ihre Führungen finden.

Nun hat der Verein Dachauer Gästeführer sein zwanzigjähriges Bestehen am Wasserturm gefeiert - mit vielen Gästen aus Vergangenheit und Gegenwart. Dabei gibt es die Gästeführerinnen schon viel länger, als diese Feier vermuten lassen könnte, wie Vereinsvorsitzende Brigitte Fiedler erzählte. Bereits 1992 beantragte Gertrud Schmidt-Podolsky (CSU), damals Fremdenverkehrsreferentin im Stadtrat, Fremdenführer auszubilden. 1993 begann die Ausbildung nach langen Diskussionen über Themen und Inhalte. Zu den Teilnehmerinnen gehörte auch Anni Härtl, die Vorsitzende des Verkehrsvereins. Nach dessen Auflösung hob Anni Härtl den 2003 gegründeten Verein der Dachauer Gästeführer mit aus der Taufe. So weit, so offiziell.

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Spannend, amüsant - und auf unaufdringliche Art lehrreich waren die Stippvisiten diverser kostümierter Persönlichkeiten aus der Vergangenheit Dachaus. Mondän und extravagant präsentierte sich beispielsweise die Figur der Lina Hölzl (dargestellt von Nina Schiffner) als Inhaberin des ersten Modegeschäfts am Platz gleich neben St. Jakob. Lina Hölzl war zu ihrer Zeit im beschaulichen Markt Dachau ein echter Kontrapunkt zu den bürgerlichen Damen und Handwerkerfrauen, trug Hosen und rauchte Zigarillos. Nina Schiffner lieferte zudem eine launige Erklärung für den Begriff "Malweiber". Was heute ein Unwort ist, sei im Bayerischen durchaus anerkennend gemeint. "Weib, das ist eine resolute, selbstbewusste Frau", sagte sie.

Exakt so war auch die Brandrede von Wally, der Frau des Schmieds (Brigitte Fiedler). Schlicht gekleidet, aber äußerst beredt, grantelte sie über das "dreckige Wasser", das von der Papierfabrik in den Mühlbach floss; sie erinnerte an die in der Landeshauptstadt grassierende Typhus-Epidemie, freute sich, dass endlich der neue Wasserturm für saubere Verhältnisse sorgte - und war zugleich auf der Suche nach einer guten Partie für ihre Tochter.

Auch Joseph Effners Mutter war da

Auch für die etwas hochnäsige Frau Dr. Engert (Sabine Herrmann) war der Wasserturm Thema, nicht in erster Linie wegen seiner gesundheitsfördernden Wirkung, sondern weil der Schwiegervater sich dafür eingesetzt hatte - und das, obwohl das Bauwerk die Aussicht von der Villa auf den Schlossberg verschandele. Familienstolz sprach aus jedem Wort von Maria Öffner (Gisela Schober). War sie doch die Mutter von Joseph Effner, dem berühmten Gartenbaumeister und Architekten. Weitschweifig erzählte sie vom Werdegang ihres Sohnes, von seinem Aufenthalt in Frankreich, von der Namensumbenennung in Effner, "bloß, weil die da kein Ö sprechen können". Klar, dass in ihren Ratschereien auch der langjährige Dienstherr ihres Sohnes, Kurfürst Max II. Emanuel, für seine ausschweifende Lebensweise und seine Niederlage in der Schlacht bei Höchstädt sein Fett abbekam.

Fast wie die Begegnung zweier Wesen von fremden Gestirnen mutete die kabarettreife Auseinandersetzung zwischen Sabine Herrmann und Gisela Schober an. Die eine typisch Hamburg, die andere typisch Dachau. Wie sie doch noch eine Verständigungsmöglichkeit finden, muss man live erlebt haben, zum Beispiel bei einer ihrer Führungen. Karin Schwenke und Anni Härtl schließlich karikierten die vornehme oder sich vornehm gebende feine Dachauer Gesellschaft. Alle diese bühnenreifen Auftritte zeigten - auch für Alteingesessene - neue Facetten ihrer Heimatstadt und machten Lust, mal wieder eine Stadtführung mitzumachen.

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