Flüchtlinge und Kriminalität in Dachau:"Es gibt keinen Anlass zur Hysterie"

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Sorgen und Ängste der Bevölkerung nimmt der Leiter der Polizeiinspektion Dachau, Thomas Rauscher, ernst. (Foto: Toni Heigl)

Der Chef der Dachauer Polizeiinspektion, Thomas Rauscher, spricht über unbegründete Angst vor Asylbewerbern, haltlose Gerüchte, rechte Hetze und die Sicherheitslage im Landkreis

Interview von Sebastian Jannasch

Die Flüchtlingsdebatte bewegt den Landkreis. An diesem Mittwoch wird erneut eine Not-Erstaufnahmeeinrichtung in Dachau in Betrieb genommen. Etwa 280 Schutzsuchende kommen in den Landkreis. Sie treffen bei den Einheimischen auf große Hilfsbereitschaft, aber auch auf Ängste. Nicht immer werden in der Diskussion Fakten und Gerüchte sauber auseinander gehalten. Im Interview mit der SZ nimmt der Chef der Dachauer Polizei, Thomas Rauscher, 51, deshalb Stellung zu Befürchtungen, die Kriminalität im Landkreis könnte durch die Flüchtlinge steigen - und gibt Entwarnung.

SZ: Der Zuwachs an Flüchtlingen macht manchen Bürgern Angst. Manch einer fürchtet höhere Kriminalität. Was sagt die Statistik für den Landkreis Dachau, gibt es Grund zur Besorgnis?

Thomas Rauscher: Ich kann eindeutig Entwarnung geben. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Was Straftaten angeht, sind die Flüchtlinge unauffällig. Im Jahr 2015 zählen wir bisher etwa 60 Delikte, die Flüchtlingen zugerechnet werden. Bei etwa 1400 Flüchtlingen geht dieser Wert fast unter. Insgesamt werden im Landkreis etwa 5400 Straftaten pro Jahr begangen. Der Anteil liegt also bei gut einem Prozent. Es gibt keinen Anlass zur Hysterie.

Um welche Straftaten geht es?

Von den allermeisten Straftaten bekommen die Bürger gar nichts mit. Die deutliche Mehrzahl der Delikte betrifft Vorfälle innerhalb der Flüchtlingsunterkünfte, vor allem Beleidigungen oder leichte Körperverletzungen. Das hat keinerlei Auswirkung auf die Bevölkerung. Darüber hinaus gab es einige Ladendiebstähle. Diese traten eine Zeit lang vermehrt in Markt Indersdorf auf. Wir konnten die Beschuldigten identifizieren und ein klärendes Gespräch führen. Seitdem sind sie nicht mehr negativ aufgefallen und die Diebstähle wieder deutlich zurückgegangen. Übrigens war bei keinem Einbruch ein Asylbewerber unter Verdacht.

Passen diese Erkenntnisse zu den Rückmeldungen, die Sie aus der Bevölkerung bekommen?

Natürlich merken wir, dass das Thema Flüchtlinge bei der Arbeit, in der Freizeit und am Stammtisch präsent ist. Sehr viele Anfragen bekommen wir dazu aber nicht. Es ruft schon mal jemand an und schildert einen angeblichen Vorfall, bei dem ein Einbruch oder Diebstahl auf das Konto von Flüchtlingen gehen soll. Auch andere schwerwiegende Vorwürfe werden vereinzelt erhoben.

Wie reagieren Sie in diesen Fällen?

Hier können wir meist schnell für Klarheit sorgen: Natürlich nehmen wir alle Anfragen ernst, prüfen intern und mit anderen Behörden, ob wir Kenntnis von Vorfällen haben. Oft stellt sich aber heraus, dass nichts dran ist oder sich der Fall anders zugetragen hat. Bei genauer Nachfrage kommt nicht selten heraus, dass Bürger nur durch Hörensagen von einer angeblichen Straftat wissen. Stille Post ist allerdings keine verlässliche Informationsquelle. Wer einen konkreten Verdacht oder Befürchtungen hat, kann sich an uns wenden. Wir beantworten jede Anfrage und können Gerüchte schnell aufklären.

Im Jahr 2015 hat sich im Landkreis Dachau die Nachfrage nach kleinen Waffenscheinen bisher schon auf über 60 mehr als verdoppelt im Vergleich zu den vergangenen Jahren. Bis Ende des Jahres könnten es mehr als 80 Anträge sein. Mit dem Schein lassen sich Schreckschuss-, Signal- und Gaspistolen führen. Rüsten einige Bürger aus Angst hoch?

Mir ist dazu nichts Genaues bekannt. Wenn es aber diesen Trend gibt, wirft das natürlich die Frage auf, warum es gerade jetzt zu diesem Anstieg kommt. Aus meiner Sicht gibt es jedenfalls keinerlei Notwendigkeit privat aufzurüsten.

Wie werden Straftaten von Asylbewerbern verfolgt?

Genauso wie bei jedem anderen, der hier einen Wohnsitz hat und eine Straftat begeht. Manch einer hat merkwürdige Erwartungen und ist fast enttäuscht, wenn ein Flüchtling, der etwas entwendet hat, nicht in Haft kommt. Das wäre bei einem Deutschen auch nicht der Fall. Es geht nicht, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Wir nehmen eine Anzeige auf und die Staatsanwaltschaft entscheidet über den Fortgang.

Haben Sie denn auch schwere Straftaten registriert?

Es gab keine kapitalen Verbrechen wie schwere Körperverletzung oder Schlimmeres, auch nicht unter Flüchtlingen. Sehr gefährlich war sicherlich, dass ein Unbekannter Mitte November von innen an der Traglufthalle der Flüchtlingsunterkunft in Karlsfeld gezündelt hat. Das ist überhaupt nicht zu dulden. Den Verursacher konnten wir noch nicht ermitteln. Kritisch war auch, dass ein betrunkener Flüchtling Frauen und ein junges Mädchen in Indersdorf penetrant belästigt hat. Auch das ist völlig inakzeptabel. Der Fall liegt nun bei der Kriminalpolizei in Fürstenfeldbruck. Trotzdem gilt auch hier: Sexuelle Belästigung durch einen Betrunkenen gibt es genauso bei Einheimischen. Die Statistik zeigt, dass es keinen Grund gibt, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Es sind sehr wenige Einzelfälle.

In dem Fall der Belästigung wurde der Vorwurf laut, die Polizei wollte den Vorfall der Öffentlichkeit vorenthalten.

Wir müssen immer genau abwägen, wie wir das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit erfüllen und gleichzeitig die Betroffenen schützen und Ermittlungen nicht gefährden. Bei dem Fall in Indersdorf hatte der Schutz einer noch minderjährigen Betroffenen erst einmal Vorrang. Den Vorwurf, es gäbe eine politische Anweisung von oben, bestimmte Informationen zurückzuhalten, ist völliger Unsinn. Wir entscheiden eigenständig und unabhängig, egal ob ein Flüchtling oder ein Einheimischer beschuldigt wird.

In einem offenen Brief kritisierte die Gewerkschaft der Dachauer Polizei jüngst die hohe Arbeitsbelastung, auch weil Einsätze in Flüchtlingsunterkünften zugenommen haben.

Natürlich haben wir mehr Einsätze als früher. Wir werden mehrmals pro Woche in eine Asylunterkunft gerufen. In der Regel lässt sich die Situation schnell beruhigen.

Streit entzündet sich dort oft an Kleinigkeiten, etwa weil jemand zu laut Musik hört, nachts zu laut telefoniert oder es Probleme mit dem Essen gibt. Dass solch ein Konflikt

hochkocht, hängt natürlich auch damit zusammen, dass das Zusammenleben auf engstem Raum nicht einfach ist. Wir haben sogar eine Sonderstreife mit zwei Mitarbeitern, die sich ausschließlich darum kümmern, für das Thema Flüchtlinge ansprechbar zu sein und sich in Unterkünften umzuhören, um frühzeitig ein Stimmungsbild zu bekommen.

Leidet die Routine-Arbeit unter diesen Einsätzen?

Nein, unsere anderen Aufgaben leiden nicht über Gebühr. Wir arbeiten Einsätze nach Priorität ab. Ein hohes Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung ist uns sehr wichtig. Die Bearbeitung von Unfällen zum Beispiel kommt nicht zu kurz. In Einzelfällen mag es zu etwas längeren Wartezeiten kommen, wenn gerade viele Streifen im Einsatz sind. Aber auch dann gilt: Sind Personen in Gefahr, sind wir schnellstmöglich da oder holen Unterstützung aus benachbarten Landkreisen. Die Sicherheit im Landkreis ist nicht gefährdet.

Gilt das auch für Asylbewerber? Gab es Übergriffe auf sie?

Nein, zum Glück nicht, weder auf Flüchtlinge noch ihre Unterkünfte. Wir haben die Lage aber genau im Blick, denn leider gibt es auch im Landkreis bekannte Rechtsextreme. Im November 2014 hatte ein Mann, der uns als rechtsextrem bekannt ist, eine Flüchtlingsunterkunft in Indersdorf mehrfach beobachtet und fotografiert. Wir haben ihn daraufhin angesprochen und ein Betretungsverbot über das Landratsamt verhängt. Wir verstehen hier keinen Spaß. Ich möchte darauf hinweisen, dass Flüchtlinge auch in anderer Hinsicht zu Opfern Krimineller werden können. Flüchtlinge kennen sich häufig in Deutschland noch nicht gut aus, verstehen nicht genau, was sie unterschreiben oder im Internet buchen. Als Polizei sind wir für alle zuständig, die im Landkreis leben, auch Flüchtlinge, die zum Beispiel Betrügern zum Opfer fallen.

Stichwort Internet: Beobachten Sie auch Hetze im Netz?

Wir schauen uns das nicht permanent an. Allerdings gibt es manchmal Hinweise aus der Bevölkerung. Wenn der Verdacht besteht, dass eine Volksverhetzung vorliegt, werden wir aktiv. Rechte Stimmungsmacher sollen wissen, dass strafbare Inhalte bei Bekanntwerden auch verfolgt werden.

Glauben Sie, dass Ängste vor Flüchtlingen eher zunehmen oder abflauen werden?

Ich bin optimistisch, dass viele Ängste sich zerstreuen, wenn besorgte Bürger merken, dass sich die Sicherheitslage nicht verschlechtert durch die Flüchtlinge. Ich habe eine klare Botschaft: Die Sicherheit im Landkreis ist gegeben. Niemand muss größere Sorge haben als zuvor, abends noch einmal eine Runde mit dem Hund zu gehen.

© SZ vom 09.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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