Dachau:Einfach Hayley

Hayley Reardon

Hayley Reardons Songs lassen tief in ihre Seele blicken, aber genau das macht sie für das Publikum so nahbar.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Singer-Songwriterin Hayley Reardon beweist, dass sie das Ruckteschell-Stipendium verdient hat

Von Andreas FÖrster, Dachau

Manchmal ergeben sich die Dinge von ganz allein: Hayley Reardons aktuelle Tour führt sie von September bis einschließlich Oktober durch Schweden, Österreich, die Schweiz und Deutschland. Ein Konzert in Dachau war nicht geplant. Sie war ja schon im April hier. Doch die Absage der kanadisch-amerikanischen Gitarristin und Singer-Songwriterin Cécile Doo-Kingué ermöglichte es der künftigen Ruckteschell-Stipendiatin, noch einmal vor 2020 ihrer neuen Wahl-Heimat Dachau einen Besuch abzustatten, neue Kontakte zu knüpfen und bestehende zu vertiefen. "Hayley ist die erste von mir engagierte Musikerin, die im selben Jahr zweimal auftritt", stellte der Chef der Konzertagentur Tollhaus Dachau, Kai Kühnel, fest.

Am 1. April 2020 wird die 23-Jährige ihr sechsmonatiges Künstlerstipendium antreten. Sie freue sich schon sehr drauf, versicherte sie zu Beginn des Auftritts. Es schien, als wäre diese Vorfreude während des gesamten Konzerts spürbar, sie übertrug sich mehr und mehr auch auf die Zuhörer. Immer wieder huschte Reardon während des Singens wie zufällig ein verträumtes Lächeln übers Gesicht. Das Konzert im ausverkauften Gramsci war jedenfalls die perfekte Gelegenheit für die aus Massachusetts stammende junge Frau, sich und ihre Kunst noch einmal zu präsentieren. Und dabei auch dem letzten Zweifler zu beweisen, dass sie die richtige Wahl als neue Stipendiatin in Dachau war.

Denn neben ihrer zugewandten, sympathischen Art zu Kommunizieren ist Reardon mit einer besonderen Begabung für Songwriting, Gesang und Gitarre gesegnet. Bereits mit zwölf Jahren fing sie selbst an, Lieder für Gitarre und Gesang zu schreiben. Mittlerweile gibt sie ihr Talent und Wissen in Workshops in ihrer Heimat an Kinder und Jugendliche weiter. Das möchte sie im kommenden Jahr auch in Dachau anbieten.

Zu jedem Song weiß die in einem Fischerdorf nördlich von Boston aufgewachsene Reardon eine berührende, aus ihrem Leben gegriffene, Geschichte zu erzählen. Sei es von ihrem verpatzten Musikstudium in Nashville, wo sie vor Heimweh nächtelang in die Kissen ihres Studentenwohnheims geweint hat. Wobei die Sehnsucht nach Zuhause in einer großartigen "sad dormroom song collection", einer traurigen Studentenwohnheim-Liederkollektion, mündete.

Die Melancholie der Lieder passt zu ihrer wandelbaren, bisweilen kindlich klingenden Stimme. Manchmal ist das Singen mehr ein Erzählen oder ein Singsang, gefolgt von einem nonchalanten Tremolo. Das Publikum folgt ihr bedingungslos, summt mit, wiegt im Takt, und ist er auch noch so langsam. Reardon erinnert sich an den ersten Auftritt im Februar, "you guys listen so attentively, I like that", also "ihr hört so aufmerksam zu, ich mag das."

In ihren Liedern öffnet sie ihr Herz und lässt die Zuhörer tief in ihre Seele blicken. Das macht sie zwar verletzbar, andererseits wirkt sie dadurch sehr nahbar - und Menschen, die vorbehaltlos zuhören wie im Café Gramsci, verletzen nicht. Reardon erzählt und singt von ihrer Großmutter, die so gerne Patsy Cline gehört hat. Als sie schon dement gewesen sei, habe ihr die zehnjährige Hayley Paty-Cline-Songs vorgespielt und die Freude in den Augen der Oma aufgesogen. In fast jedem ihrer eigenen Lieder gibt es Textzeilen, die unter die Haut gehen. Einer lautet "care is the mother of forgiveness", sich sorgen ist die Mutter der Vergebung. In "Good" sing sie "You are good, don't let anyone tell you, you aren't", du bist gut, lass dir von niemandem einreden, dass du es nicht bis. Der vielleicht stärkste Song des Konzerts war "Bethany" aus ihrer aktuellen EP "Where I Know You". Darin geht es um die beste Freundin ihrer Mutter, "der größte Hippie aller Zeiten", so Hayley Reardon. Beth habe ihr stets vom ungezwungenen Leben in den 1970er Jahren vorgeschwärmt, aber "freedom never comes easy", Freiheit kommt nicht von allen, mahnte sie und das floss als Refrainzeile in den Song mit ein. Weil fast alle Lieder mit Reardons Leben zu tun haben, ist es nur stimmig, dass sie am liebsten solo auftritt: Ohne Effekte, einfach Hayley.

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