Bürgerworkshop in Dachau:Verkehrsberuhigt und grün

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Unterm stillgelegten Lastenkran der alten MD-Fabrik geben etwa 300 Dachauer teils kreative Denkanstöße für die Zukunft der Großen Kreisstadt

Von Petra Schafflik, Dachau

Stimmen schwirrten durch die Industriehalle, vor großflächigen Stadtplänen wurde gestikuliert und diskutiert, thematische Collagen zur Stadtentwicklung interessiert begutachtet. Der große Bürgerworkshop, zu dem die Stadt Dachau am Samstag in die Zentralwerkstatt auf dem MD-Gelände eingeladen hatte, war noch gar nicht offiziell eröffnet, da stürzten sich die ersten Dachauer schon ins Thema. Wie soll Dachau sich entwickeln? Wo in der Stadt künftig gearbeitet, gewohnt werden? Wo könnten Erholungsflächen liegen? Wie soll die Teilhabe aller organisiert werden? Wo möchten die Bürger einkaufen? Welche Kulturangebote und -orte sind gefragt? Wie soll die wachsende Stadt ihre Identität bewahren? Alles Fragen, die es zu beantworten gilt auf dem Weg zu einem Leitbild, das die Stadt gerade entwickelt.

Die Dachauer nahmen die Herausforderung an, zu den seit Herbst 2018 schon per Bürgerbefragung und Expertenworkshop entwickelten Leitsätzen nun abschließend ihre Meinung abzugeben. Einige arbeiteten bis zur Abschlussdiskussion durch, andere verweilten kürzer. Nach Einschätzung von Stadtentwicklerin Annegret Michler, die den Workshop gemeinsam mit der Stadtverwaltung organisierte, dürften an diesem Nachmittag 300 Dachauer mitgestaltet haben. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) freute sich speziell auch über die Intensität der Mitwirkung: "Vom Engagement der Bürger bin ich begeistert", sagte er.

Wenn eine schwierige Aufgabe ansteht, kann ein passendes Ambiente nicht schaden. Die Stadtverwaltung mit Projektleiterin Ariane Jungwirth hatte sich deshalb für das MD-Gelände entschieden als Location des Bürgerworkshops. Ein passenderes Umfeld hätte man vermutlich nicht finden können. Dort, wo am Samstag die Dachauer unter den Laufschienen eines stillgelegten Lastenkrans an mobilen Stellwänden und Tischen arbeiteten, angeregt mit Mitarbeitern der Stadtverwaltung, Stadträten, Vertretern von Vereinen und Experten diskutierten, "werden wir in ein paar Jahren mitten im Grünzug eines neuen Stadtquartiers stehen", sagte OB Hartmann bei der Eröffnung des Workshops. Das MD-Areal als Ort "des Aufbruchs und der Entwicklung" vermittle deshalb die richtige Stimmung für den Workshop.

Wie soll Dachau sich entwickeln? Wo in der Stadt künftig gearbeitet, gewohnt werden? Wo könnten Erholungsflächen liegen? Fragen, über die sich die Dachauer beim Bürgerworkshop austauschen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ob es am nüchternen Industriecharme der ehemaligen Zentralwerkstatt lag, dass die Workshopteilnehmer unermüdlich werkelten, mag dahingestellt sein. In jedem Fall nahmen die Anwesenden ihre Aufgabe ernst. Unter den Teilnehmer waren Bürger, die den Leitbildprozess von Anfang an interessiert begleitet hatten und bereits bei der Onlineumfrage mitgemacht hatten. Aber auch Dachauer, die sich jetzt erstmals mit dem Thema auseinandersetzten.

In einem kurzen Einführungsfilm erfuhren alle, was Stadträte und Vertreter der verschiedenen Verbände und Organisationen bereits in einem Expertenworkshop erarbeitet hatten. Als ein Ziel formulierte der OB im Film, "die Identität der Stadtteile wieder zu stärken." Thematisch eingestimmt machten sich die Bürger daran, die in acht bunten Collagen zusammengestellten Leitbildthesen zu Dachau als Kultur-, Unternehmer-, Natur-, Teilhabe-, Quartier-, Heim-, Flanier- und Kompaktstadt zu bewerten. Ein ganzheitlicher Blick sei erwünscht, Ergänzungen und Widerspruch willkommen, hatte der Oberbürgermeister erklärt.

Die Teilnehmer notierten, kommentierten, strichen durch. Als Anmerkung zum Stadtverkehr schrieb etwa Melanie Habersetzer: "Die Verkehrsberuhigung in der Altstadt ist mir wichtig." Außerdem liege ihr am Herzen, "dass Dachau eine Stadt im Grünen ist". Der Fokus von Petra Mey liegt auf einer nachhaltigen Stadt, "Brunnen mit Trinkwasser" steht auf einem ihrem Klebezettel. Sven Manig findet es wichtig, dass Dachau ein Gleichgewicht bewahrt zwischen Verdichtung und Grünflächen zur Erholung. Seine Sorge ist, "dass mit dem Zuzug die Lebensqualität leidet".

Jakob Auer ist Landschaftsarchitekt, er zeichnet neue Grünflächen in einen großen Stadtplan. Auch dass Wohnen in Dachau zunehmend ein Privileg für Wohlhabende werde, bereitet ihm Sorgen. An den Tischen und neben den Stadtplänen finden sich am Schluss Dutzende von Wünschen und Vorschlägen wie Parkhaus außerhalb der Stadt, Fußgängerzone Altstadt, Skulpturenpark, mehr Wildnis statt gepflegtem Grün, kostenloser öffentlicher Nahverkehr, nachhaltige Verdichtung, Hochwasserschutz, barrierefreier Wohnraum, LKW-Verbot, dezentrale Nahversorgung, Leerstandsbekämpfung, Coworking-Space.

Die jüngeren Stadtplaner wünschen sich unter anderem mehr Spielplätze, sichere Geh- und Radwege, Matschplatz, Trampolinhalle, Tiergehege, Spielstraßen. Das ist in bunter Kreideschreibschrift zu lesen. Auch am "Wünschebaum" in einer kleinen Ruheinsel, die ab kommender Woche dann in der Münchner Straße aufgebaut wird, hängen am Abend Dutzende Zettel mit Visionen und konkreten Anliegen.

Doch wie geht es nun weiter? Der eine oder andere konkrete Vorschlag lasse sich sofort umsetzen, erklärte Bauamtsleiter Moritz Reinhold. Vor allem aber vermittelten alle Wünsche und Anregungen zusammen ein Bild, "wo es die Leute drückt". Genau dies soll nun in das Leitbild der Stadt einfließen, das der Stadtrat bereits im Herbst verabschieden möchte.

"Danach werden wir in den Flächennutzungsplan einsteigen", sagte OB Hartmann. Dieser regelt ganz grundlegend, welche Flächen in der Stadt langfristig für Wohnen, Arbeiten, Erholung, Schulen oder Sport vorgesehen werden. Die Ausarbeitung könne nach den Erfahrungen anderer Kommunen durchaus zehn Jahre dauern. Nachdem in Dachau mit dem aktuellen Leitbild wichtige Diskussionen schon geführt sind, hofft Hartmann, "dass es bei uns schneller geht."

Im Anschluss an die geistige Arbeit der Bürger, das Ringen und Argumentieren, schickte Christian Benning rhythmische Klänge durch die Halle. Der Dachauer Percussionkünstler setzte sich kreativ mit der Industriebrache auf dem Gelände der ehemaligen Papierfabrik auseinander. Für eine eigens komponierte musikalische Reminiszenz an 150 Jahre Dachauer Industriegeschichte nutzte Benning auf dem Gelände vorgefundene Maschinenteile. Rohre, Dichtungsringe, Abluftschacht oder Kessel mutieren dabei zu einem martialisch anmutenden Klangkörper, dem er kräftig dröhnende wie unerwartet leise Töne entlockte. Ein besonderes Konzert, mit dem sich die Stadt Dachau bei den Bürgern für ihre Mitarbeit bedankte.

© SZ vom 29.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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