Dachau:"Bitte reinkommen"

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110 Erstklässler erleben an der Grundschule Dachau-Ost ihren ersten Schultag. Mehr als 70 Prozent von ihnen haben Migrationshintergrund. Sprachförderung bekommen alle, die sie brauchen

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Das kleine Mädchen in Rosa ist schon ganz ungeduldig. "Wir müssen da lang", ruft sie ihrer Mutter zu und zeigt energisch Richtung Schulhof. Buben in Anzug mit Fliegen, Mädchen in schicken Kleidern und mit Schleifen in den Haaren, aufgeregte Eltern, die alle paar Schritte ein Foto schießen. Das kann nur eins bedeuten. Es ist Einschulungstag an der Grundschule Dachau-Ost.

Für 1783 Kinder im Landkreis ist dieser Tag ein großer. 110 Schulanfänger werden am Dienstagmorgen in Dachau-Ost auf fünf Klassen verteilt, 1 a bis 1 e. "Bitte reinkommen", ruft eine Lehrerin um kurz vor neun endlich. Mamas, Papas, Großeltern und jüngere Geschwister strömen durch die Eingangstür. Es dauert, bis alle Erstklässler ihren Platz auf den niedrigen Bänken in der Turnhalle gefunden haben. Schon hier sollen sie sich in ihre Klassen aufteilen. Wer wohin gehört, steht auf langen Listen, die draußen im Flur hängen. Maximal 25 Kinder kommen in eine Gruppe. Normalerweise wären es sogar 28, aber wenn der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund in einer Stufe bei mehr als 50 Prozent liegt, sinkt die Zahl. Bei den Erstklässlern sind es sogar 71,8 Prozent. Sprachförderung bekommen an der Grundschule Dachau-Ost alle jene, die sie brauchen. Außerdem lernen in den Klassen Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, also einer Hörbehinderung, Sprachstörungen, Lernschwierigkeiten oder sozial-emotionalen Problemen gemeinsam mit den anderen. Immer mehr Schüler brauchen so eine Betreuung. Etwa drei sind es in diesem Jahr pro Klasse. Die Grundschule Dachau-Ost hat deshalb schon lange Zeit spezielle Kooperationsklassen und arbeitet eng mit der Greta-Fischer-Schule zusammen, die ein sonderpädagogisches Förderzentrum ist. Seit Oktober ist die Grundschule offiziell eine von 210 "Profilschulen Inklusion" in Bayern. Das bedeutet: Lehrer und Schüler werden von einer Sonderpädagogin unterstützt, damit jedes Kind seinen Bedürfnissen entsprechend lernen kann. Alleine wäre das für die Lehrer nicht zu schaffen.

Zur Begrüßung singt die 2d. (Foto: Niels P. Joergensen)

Es schwirren viele Sprachen durch die Turnhalle der Grundschule an diesem Morgen. Die Kinder heißen Constanze und Vesela, Dominik und Batuhan, Sebastian und Hanad. Sie teilen die Aufregung, die Vorfreude, die Unsicherheit und den Stolz. Dachau-Ost ist ein Schmelztiegel. Als endlich alle sitzen, hat sich ein Meer von nagelneuen grünen, blauen und pinkfarbenen Schulranzen gebildet. Dazu die Schultüten, bunt und prall gefüllt mit allerlei Geheimnissen. Ungeöffnet, natürlich. Süßigkeiten und Geschenke gibt es erst später. Fotos wollen alle schon jetzt. Unermüdlich halten die Eltern die Linsen ihrer Kameras und Smartphones auf die Kleinen, jeder Moment soll dokumentiert werden. So groß ist der Andrang, dass Schulleiterin Gabriele Dörfler bittet, die Angehörigen möchten doch einen Meter zurückgehen. Dann singt die 2 d. Geprobt wurde natürlich schon im Schuljahr davor. Die Vorstellung klappt reibungslos.

Nach der Begrüßung dürfen die Erstklässler mit ihren Lehrern in die Klassenzimmer. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Als der Moment der Trennung kommt, fließen die ersten Tränen. Aber die sind schnell getrocknet, und Gabi Ritter macht sich mit der 1 a auf den Weg ins Klassenzimmer, die Eltern stehen Spalier. Den Gang hinunter durch zwei Türen trippeln die Erstklässler im Gänsemarsch mit ihren Schulranzen, die riesig wirken auf den schmalen Schultern, dann links die Treppe hoch. Die Eltern müssen warten. "Jetzt müssen Sie ihr Kind loslassen", sagt die Schulleiterin. Sie beruhigt, dass die Lehrer nur das Beste für die Kinder wollten, und appelliert, die Eltern sollten Vorbilder sein und Anteil am Lernen nehmen. Lust auf Lernen und Lust auf Leistung sollten die Kinder haben. "Schule macht nicht immer Spaß", sagt sie, "das Lernen ist manchmal mühsam, aber es wird belohnt."

110 Erstklässler erleben an der Grundschule Dachau-Ost ihren ersten Schultag. (Foto: Niels P. Joergensen)

Peter und Ewelina Juruczyk sind entspannt. Die Eltern von zwei Kindern kennen das Prozedere. Nur Nina war aufgeregt, am Vorabend ihrer Einschulung. Nachdem sie eigentlich schon im Bett war, kam sie noch einmal weinend raus. Jetzt ist alles gut. Ihr großer Bruder kommt an diesem Tag in die Realschule, auch um neun Uhr, die Mutter war erst dort, dann ist sie in die Grundschule gekommen. Für andere ist dieser Tag eine Premiere. "Heute Morgen hatte ich schon einen Kloß im Hals", sagt Sabine Lehr und lacht. Jetzt kommt bei der Mutter langsam die Erleichterung. Die siebenjährige Anja sei dagegen richtig euphorisch gewesen, erzählt der Vater. Zehn Minuten sind es vom Zuhause der Familie bis an die Schule, dass Anja hier eingeschult wird, war klar. Die ersten Monate werden die Eltern sie noch begleiten.

Jetzt lernt Anja aber erst einmal ihre Klasse kennen. Gabi Ritter erklärt ihr, dass sie ihren Schulranzen an den Haken am Tisch hängen soll, wo das Federmäppchen hinkommt, und dass man sich meldet, wenn man etwas sagen will. An den Fenstern hängen Schmetterlinge aus buntem Papier, im Regal stapeln sich Spiele, die Holzkisten am Rand sind voller Bücher. Durch die großen Fenster kommt die Sonne in den Raum. Hier kann man sich wohlfühlen. Die erste Schüchternheit ist schnell verflogen, die Kinder raten eifrig, was wohl in der Hase-Felix-Schultüte sein könnte, die ihre Lehrerin ihnen da zeigt. Süßigkeiten? Lutscher? Stifte? Nein, es ist der Kasperl. "Hab ich's doch gewusst", sagt Merna und kichert. Dass sie so heißt, lernen die anderen kurz darauf. Jeder bekommt ein Namensschild und stellt sich vor. "Ich heiße Nilsu", sagt ein Mädchen in weißem Kleid mit Franzosenzopf. "Ah, die kenne ich schon", ruft einer, "ich auch", antwortet ein anderer. Neben Nilsu sitzt Selin, traditionell im Dirndl. Constanze trägt rote Ballerinas und eine Schleife im Haar. Maxim ist sogar in Anzug und Fliege gekommen. Schick und stolz sitzt er an seinem Pult. Zu Recht. Es ist schließlich ein großer Tag für die Erstklässler. Ihr Tag.

© SZ vom 14.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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