Verdacht des sexuellen Missbrauchs:Aussage gegen Aussage

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Ist der 20-jährige Angeklagte im Auto wirklich über eine 15-Jährige hergefallen? Der Richter hat Zweifel.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Das Urteil ist gerade erst gesprochen, da steht Marvin L. (Name geändert) auf und reicht Amtsrichter Daniel Dorner die Hand. Der Vorsitzende lehnt dankend ab. "Ich habe nur meinen Job gemacht", sagt er. Marvin L. erwidert: "Kein Problem."

Dem 20-Jährigen steht die Erleichterung über seinen Freispruch deutlich ins Gesicht geschrieben. Noch am Morgen vor der Verhandlung hatten er und sein Anwalt Jürgen Krüger ein flaues Gefühl im Magen, wie sie nach der Verhandlung zugeben. Sie wussten: Es steht Aussage gegen Aussage. Der schwere Vorwurf, der dem 20-Jährigen gemacht wird: sexueller Missbrauch von Jugendlichen.

Angeklagter nahm das Mädchen im Auto mit

Konkret geht es um einen Vorfall, der sich im Januar 2015 zugetragen haben soll. Laut Anklageschrift holt Marvin L. am späten Nachmittag eine 15-jährige Bekannte, die Ex-Freundin seines Freundes, mit seinem Auto ab, um sie ein paar Ortschaften weiter zu ihrem Ziehvater zu bringen. Auf halber Strecke hält der Angeklagte an einem Waldrand an. Marvin L. macht eine anzügliche Bemerkung und fasst dem Mädchen an die Brust. Dann, so heißt es in der Anklage weiter, will der junge Mann seiner Mitfahrerin unter das T-Shirt fassen und bietet ihr 20 Euro dafür. Das Mädchen lehnt ab.

Trotzdem zieht Marvin L. den Kopf der jungen Frau zu sich und versucht, sie zu küssen. Schließlich schiebt er das T-Shirt des Mädchens hoch, legt seine Hand auf ihren Bauch, umfasst ihren Oberschenkel und streichelt sie am Hals. "Der Angeklagte handelte, um sich sexuell zu erregen", verliest der Staatsanwalt.

Der 20-Jährige bestreitet die schweren Vorwürfe vehement: "Das stimmt nicht - in gar keiner Form." Er schildert detailgetreu die Autofahrt mit der 15-Jährigen. Die habe tatsächlich stattgefunden. Auch räumt er ein, eine Weile am Straßenrand gehalten zu haben. Übergriffig sei er dabei allerdings nicht geworden, im Gegenteil: "Wir haben über ihren Ex-Freund geredet, über ihre Probleme und ihre Enttäuschung." Am Schluss hätten sich die beiden sogar umarmt.

Weil Aussage gegen Aussage steht, hängt nun viel von der Einlassung der 15-Jährigen ab. Ihre Anhörung, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, dauert eine geschlagene Stunde - dann verlässt die Zeugin heulend mit ihrer Mutter den Gerichtssaal.

Erinnerungslücken und Widersprüche

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft weist später auf die zahlreichen Erinnerungslücken und Widersprüche der Zeugin hin. Während der Angeklagte imstande gewesen sei, das Geschehen detailgetreu und dezidiert nachzuerzählen, habe die Geschädigte nicht einmal mehr gewusst, "wo und wie sie angefasst wurde". Schließlich resümiert der Staatsanwalt: "Die Zeugenaussage reicht nicht aus, um einen Schuldspruch zu veranlassen." Er plädiert auf Freispruch.

Auch Amtsrichter Dorner führt in seinem Urteilsspruch die "vielen Erinnerungslücken" der 15-jährigen Zeugin an. Ihre Aussage vor Gericht, so der Richter, widerspreche in vielen Punkten jenen zwei, die sie im Vorfeld bei der Polizei abgegeben habe.

"Ich hatte Bedenken, dass sie eine Show abzieht"

Die Polizistin, die am Tag des vermeintlichen Übergriffs die Erstvernehmung vorgenommen hat, ist ebenfalls vor Gericht geladen. Nach ihrer Aussage ist die junge Frau weder schockiert noch verstört, als sie den Vorfall schildert. Vor Gericht behauptet die 15-Jährige laut Richter Dorner allerdings, bei der polizeilichen Vernehmung geweint zu haben. So kommt der Vorsitzende zu dem Schluss: "Ich kann nicht zweifelsfrei sagen, ob sich der Vorfall wirklich so zugetragen hat, wie ihn die Zeugin beschrieben hat."

Der 20-Jährige vermutete von Beginn an, dass das Mädchen ihm eine auswischen wollte, weil er sich gut mit ihrem Ex-Freund verstehe. "Ich hatte wirklich Bedenken, dass sie hier heult und eine Show abzieht und ich dann wirklich für etwas belangt werde, das ich nicht getan habe." Nach dem Freispruch frohlockt der junge Mann: "Es ist wenigstens Gerechtigkeit hier im Land."

© SZ vom 27.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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