Bundestagswahlkampf:Schnell fragen und antworten

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Beim Speed-Dating des Kreisjugendrings mit den Bundestagskandidaten verschaffen sich Erstwähler ein Bild von den Politikern. Die jungen Leute haken geschickt nach und widersprechen auch mal

Von Annalena Sippl und Thomas Altvater, Dachau

Um den Partner fürs Leben zu finden, kommen manche Singles auf überaus kreative Ideen. Beliebt sind Formate wie das sogenannte Speed-Dating. Dort müssen die Singles innerhalb weniger Minuten ihre Positionen untereinander wechseln. Man sollte also präzise formulieren, wieso man selbst der Richtige ist. Auch in der Politik sprechen die Menschen von Beziehungen, auf der einen Seite zur Partei, auf der anderen Seite zum Wähler. Doch es scheint, als haben vor allem viele junge Wähler ihren richtigen Partner in der Politik noch nicht gefunden. Aus diesem Grund hat sich auch der Kreisjugendring Dachau (KJR) ein besonderes Format einfallen lassen, um Politiker und Erstwähler zusammenzubringen. "Die große Liebe fürs Leben werdet ihr bei diesem speziellen Speed-Dating wohl eher nicht finden, vielleicht aber die Partei fürs Leben", scherzte der Moderator und Politikwissenschaftler Robert Sigel gleich zu Beginn der Veranstaltung des KJR.

Sieben Tische standen im ersten Stock des Ludwig-Thoma-Hauses. Auf jedem Tisch lagen Stifte und ein großes, noch leeres Plakat. Aufgabe der Jugendlichen war es nun, drei besonders drängende Fragen herauszuarbeiten, mit denen sie anschließend die Politiker konfrontieren wollten. Die Direktkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen, der Piratenpartei, der SPD, der CSU, der Linken, der ÖDP und der AfD wechselten anschließend wie bei einem Speed-Dating von Tisch zu Tisch. Katrin Staffler, Direktkandidatin der CSU, ließ sich durch Hans Georg Reichhart, Landtagsvorsitzender der Jungen Union Bayern, vertreten. Die Kandidaten der Freien Wähler und der FDP waren verhindert.

Lautes Gelächter an Tisch sieben

"Wir wollen uns einfach informieren. Also mal sehen, ob die Politiker uns überzeugen können", sagten die beiden 18-jährigen Anna Kern und Luisa Beittel. An diesem Abend dürfte es vielen ähnlich gegangen sein. Jede Gruppe hatte 20 Minuten Zeit, sich auf drei Fragen zu einigen. Keine leichtes Unterfangen, aber schnell wurde klar, dass die Politik in den Köpfen der jungen Gäste eine große Rolle spielt. "Mich würde die Einstellung zu Waffenexporten interessieren", rief ein junger Mann in seine Runde. Aber auch US-Präsident Donald Trump und das türkische Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdoğan wurden angesprochen. "Das können wir zusammenfassen unter dem Punkt: Umgang mit meinungsstarken Persönlichkeiten", lautete ein Vorschlag. Lautes Gelächter an Tisch sieben.

Katharina Schindlbeck nutzt die Veranstaltung des KJR, um sich zu informieren. "Wählen ist mir wichtig. Ich will auf keinen Fall, dass meine Stimme verschenkt wird", sagt die 20-jährige Weichserin. (Foto: Niels P. Joergensen)

Bildungsfragen, bezahlbarer Wohnraum, Überwachung, Pflegekräftemangel und Elektromobilität waren Kernthemen, die bei etlichen Tischen auf der finalen Fragen-Liste zu finden waren. Die Asyl- oder Rentenpolitik wurden hingegen kaum angesprochen. Für zehn Minuten setzte sich jeder Kandidat an einen anderen Tisch und gab Antworten auf die Fragen der Gruppe. "Am meisten bin ich auf die Gespräche mit der AfD und der Piraten gespannt", sagte ein junger Mann.

System kommt gut an

Das System, das der Kreisjugendring für den Abend entwickelt hat kam an - nicht nur beim ganz jungen Publikum. "Dieses Speed-Dating-Modell finde ich witzig. Der direkte Kontakt zu den Politikern ist für die Jugendlichen eine besondere Situation," sagte Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD). Er lobt das zahlreiche Erscheinen und die "spannenden Fragen" der jungen Wähler: "Das sind zentrale Themen, viele davon sind im TV-Duell zu kurz gekommen."

"Es war uns besonders wichtig, Nähe zu den Politikern zu schaffen. Die Jugendlichen sollen direkt mit allen Kandidaten sprechen können", sagt Ludwig Gasteiger, der stellvertretende Geschäftsführer des KJR: "Die Politiker sollen auf die Themen der Jugendlichen aufmerksam gemacht werden, und andersherum sollen die Jugendlichen über die Politik informiert werden." Berührungsängste kannte das junge Publikum nicht. Bis zur letzten Sekunde nutzen die Jugendlichen ihre Zeit aus, kritische Rückfragen inklusive. Sie hörten engagiert zu und notierten sich die Antworten der Politiker. Auf den fehlenden bezahlbaren Wohnraum angesprochen, sprach AfD-Politiker Florian Jäger von einem "Druck auf den Wohnungsmarkt seit 2015" - ausgelöst durch die sogenannte Flüchtlingskrise. Aufregung in der Gruppe. "Das Problem gab es schon vorher", entgegneten die Jugendlichen ihm einstimmig. "Kommen Sie bitte zum Thema zurück", bat ihn eine junge Frau. "Nein, das ist wichtig", erwiderte Jäger und ließ sich erst abhalten, als die ganze Gruppe ihn auf die knappe verbleibende Zeit hinwies.

"Die einzige Obergrenze, die ich für sinnvoll halte, ist die für CSU-Anträge"

Die konkrete Antwort von SPD-Kandidat Michael Schrodi bezüglich der Wohnungsnot kam hingegen gut an. "Der Kräutergarten nahe der KZ-Gedenkstätte gehört dem Bund, solche Grundstücke müsste man für den öffentlichen Wohnungsbau zugänglich machen", erklärte er. Immer wieder ließ er anklingen, wie wenig er von der Obergrenzen-Diskussion der CSU hält. "Die einzige Obergrenze, die ich für sinnvoll halte, ist die für CSU-Anträge." Wie für alle anderen Kandidaten war das Format auch für Schrodi Neuland im bisherigen Wahlkampf. Doch er war begeistert. "Es waren sehr gute Gespräche, weil die Jugendlichen wichtige Themen angesprochen haben", resümierte er. Dennoch war dem SPD-Politiker die Zeit ein wenig zu knapp bemessen. "Ich bin kein Freund von zu kurzen Antworten, weil man über komplexe Fragen länger sprechen muss."

„Wählen zu gehen ist meine Art des Patriotismus“, sagt der 18-jährige Christoph Kaltenbrunner. Er konzentriert sich auf Themen, die seine Zukunft betreffen. Informiert hat er sich: „Ich habe das Programm der CSU gelesen, den Wahl-o-mat gemacht und mit meinen Eltern diskutiert.“ (Foto: Niels P. Joergensen)

Nach mehr als einer Stunde Diskussion folgte die Auswertung. Dabei entschieden die Gruppen, welche Partei sie bei welcher Frage am meisten überzeugen konnte. Bei einer möglichen Angleichung des bundesweiten Bildungsniveaus überzeugte Renate Schiefer von den Linken. SPD-Kandidat Schrodi machte das Rennen bei der Frage nach einer Obergrenze für Flüchtlinge und einer Lösung des Pflegekräftemangels. Grünen-Politikerin Beate Walter-Rosenheimer konnte mehrmals punkten, bei Elektromobilität und erneuerbaren Energien. Auch die Piratenpartei wurde einige Male genannt. Die CSU überzeugte hingegen nur bei einer Frage, der Zukunft der Überwachung. Moderator Sigel lud die Jugendlichen noch ein, mit den Kandidaten persönlich zu diskutieren. Dieses Angebot nahmen jedoch nur wenige an. Es schien, als hätten sie ihren politischen Partner nun gefunden.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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