Bühne:Ausrutscher inklusive

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Jürgen Kirner und Bianca Bachmann tauschen sich mit Lust an der Boshaftigkeit über Ferien auf dem strukturgewandelten Bauernhof aus. (Foto: Niels Jørgensen)

Die Couplet AG zeigt im Ludwig-Thoma-Haus sensationelles Kabarett. Die Ausflüge ins Comedy-Genre zünden nicht

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Nur zu gerne erinnert man sich an Auftritte der Couplet AG, bei denen Jürgen Kirner einem Springteufelchen gleich die Presse immer wieder aufforderte "Schreiben's auf, schreibens's mit", was angesichts der gekonnt spitzzüngigen Wortfluten oftmals kein leichtes Unterfangen war. Zumal die Kabarettisten sich seinerzeit noch ziemlich streng und ziemlich frech an das hielten, was ein Couplet ausmacht: Witz und Zweideutigkeit, Ironie und Satire sowie ein guter Schuss politisches Kabarett. AG steht schließlich für Arterhaltungsgesellschaft.

Die Messlatte liegt am also hoch in Sachen "Wir kommen - die Rache der Chromosomen", dem aktuellen Programm des Musikkabarettisten-Quartetts, das es im fast ausverkauften Dachauer Ludwig-Thoma-Haus spielte. Um es gleich vorweg zu sagen: Die Erwartungen wurden nur teilweise erfüllt. Angekündigt als "irrwitzige Fahrt durch menschliche Abgründe", entpuppte sich zumindest der erste Teil als etwas mühsam zusammengezimmerte Abfolge von mehr oder minder witzigen Themen.

Als Stichwortgeber und Sidekick fungiert der etwas naive und rollenbedingt lispelnde Holzbrettl-Tätowierer Gustl, gespielt von Berni Filser, dem Jüngsten im Quartett - er ist Jahrgang 1993. Dessen kreative Sprüche bewegen sich gerne in Richtung Fäkal-Themen. Sein Partner ist der Umarmungsphobiker Otto (Bernhard Gruber), der sich ausgiebig mit dem Arrangieren von Stühlen und Requisiten von Gustls Wortkaskaden ablenkt. Bianca Bachmann und Jürgen Kirner - mit Gruber Gründer der Couplet AG - stürmen in wechselnden Rollen und abstrusen Verkleidungen die Bühne. Sie überstrapazieren die jüngsten Seehofer-Söder-Entwicklungen verbal und musikalisch gewaltig. Und sie befassen sich gerne mit diversen unappetitlichen Themen wie etwa erotischen Sensationen beim Pickelausdrücken. Auch Sketche über den allgegenwärtigen Dr. Google sind inzwischen Legion, auch wenn dieser in der Couplet AG-Version ein vom "RTL-Frauentausch" abgelehntes Paar verarztet. Das alles wirkt ziemlich routiniert abgespult, flach und ohne echten Biss. Dabei sind die vier Vollblutkomödianten Könner ihres Metiers - ausgezeichnet mit dem Bayerischen Kabarettpreis und dem Bayerischen Poetentaler - die mühelos den Kontakt zum Publikum suchen und finden.

Das gelingt erst, als das Duo Bachmann-Kirner als Bauer mit Frau in aberwitziger Kostümierung und gerade so wie im richtigen Leben über die Zeitläufte sinniert. Die beiden tauschen sich mit Lust an der Boshaftigkeit über Biogasanlagen, Hackschnitzelheizungen und Ferien auf dem strukturgewandelten Bauernhof aus - und fast meint man im Saal einen Hauch von Stallgeruch zu spüren. Der verweht blitzartig in der fast beängstigend real anmutenden Satire auf den allüberall wuchernden Lobbyismus. Aus Bauer und Frau wird ein mit Smartphone bewaffnetes unmoralisches Pärchen im schicken Business-Look. Dieses lässt sich zwecks Gewinnmaximierung auf jeden schweinischen Deal ein - und überzeugt sein Publikum mit treffsicherer Satire.

So höllisch gut geht es glücklicherweise nach der Pause weiter: Wie Kirner mit altersschwacher Stimme und zittrigen Händen im abgetragenen Bademantel den imaginären Abfall nach Pfandflaschen durchwühlt, um über die Runden zu kommen, ist mehr als beeindruckend. Und lässt die Realität um vieles spürbarer werden als noch so furchteinflößende Statistiken. Die Extremreisen für Senioren ohne Überlebensgarantie steigern das rasante Geschehen zum absurden tragik-komischen Theater. Wer kommt schließlich schon auf die Idee, den dritten - oder war's der vierte? - Ehegatte mittels einer Fahrt auf dem Fünfer-Looping ins Jenseits zu befördern?

Das stark alkoholisierte Wiener Prekariats-Paar liefert in Tiger-Leggings und ausrangiertem grellfarbigem Jogginganzug eine nur leicht vom Wiener Schmäh überdeckte gnadenlose Beziehungsanalyse zum Lachen und Gruseln gleichzeitig. Mit der Gedenkrede des letzten überlebenden SPD-Ortsvereinsmitglieds ausgerechnet im Schlachthof liefert die Couplet-AG schließlich einen originellen, pointierten Beitrag zum Politikgeschehen. Das ist wunderbar frech und lässt die Mainstream-Comedy des Abends im Gedächtnishintergrund verschwinden. So erfüllte sich der Programmtitel, wenn auch vielleicht anders als von den Machern geplant: Die Couplet-AG-Chromosomen bleiben trotz einiger Ausrutscher auf Kabarett vom Feinsten gepolt.

© SZ vom 11.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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