Bis 2021:Dachau drückt bei Straßenausbau aufs Tempo

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Die Stadt will alle Fristen einhalten und kein Geld verschwenden: Von den Anliegern holt sie sich 90 Prozent der Kosten zurück.

Von Viktoria Großmann, Dachau

Baukosten von bis zu 15 Millionen Euro, Aufträge an externe Dienstleister, dazu zwei neue und unbefristete Stellen im Rathaus, Proteste, vielleicht Klagen von Bürgern: Die Große Kreisstadt steht vor einer Mammutaufgabe. Nach der Neufassung des Kommunalabgabengesetzes sehen sich Verwaltung und Stadträte gezwungen, bis zum Frühjahr 2021 im ganzen Stadtgebiet Dachaus 46 kleine Straßen auf insgesamt acht Kilometern Länge ordnungsgemäß erstherzustellen, wie es im Behördendeutsch heißt. Das wird zunächst für die Stadt teuer, die das Geld dafür bereits in die kommenden Haushaltsplanungen einstellt. Am Ende aber vor allem für die Dachauer. Denn von den Anwohnern der betroffenen Straßen wird die Stadt 90 Prozent der Kosten einfordern.

Die Gründe liegen in umständlich formulierten und ziemlich komplizierten Richtlinien zum Straßenausbau. Demnach müssen Anwohner für Straßen, die eigens für ihre Wohngebiete neu gebaut, mit Abwasserrinnen und Kanalschächten und allen nötigen Markierungen versehen werden, die Kosten zum größten Teil selbst tragen. Hierfür gilt die Ersterstellungsrichtlinie. Wird die Straße später saniert oder erweitert, greift die Straßenausbaubeitragssatzung. Auch hier müssen die Bürger mitzahlen, allerdings weniger, in Dachau sind es je nach Art und Nutzung der Straße bis zu 70 Prozent. Die Anwohner erhalten Rechnungen über mehrere Tausend, gar Zehntausende Euro. Häufig kommt es zu Auseinandersetzungen und Streit zwischen Bürgern und Stadt. Den fürchtet die Stadt Dachau auch in diesem Fall.

Gesetzesänderung soll die Bürger schützen

Die Gesetze zum kommunalen Straßenbau sind Ländersache, das bayerische wurde in diesem Jahr geändert. Man könnte sagen, verbessert. Es soll nämlich eigentlich die Bürger schützen. Kommunen dürfen nun regelmäßig über längere Zeiträume kleine Beiträge von Anwohnern für zukünftige, bestimmte Projekte verlangen. Sie dürfen die Lasten auch breiter verteilen. Also nicht nur auf die direkten Straßenanwohner, sondern beispielsweise auch auf jene, die regelmäßig eine Straße zur Durchfahrt nutzen. Vor allem aber hat der Landtag den Kommunen nun eine Frist gesetzt, innerhalb derer sie den Anteil der Anwohner an den Straßenbaukosten einfordern können. Diese Frist löst in Dachau ziemliche Hektik aus.

Dabei geht es um volle 25 Jahre. Offensichtlich war es bisher in bayerischen Kommunen üblich, Straßen zwar zu bauen, aber nicht unbedingt so, wie es alle Vorschriften verlangen. So lange also beispielsweise nur ein einseitiger Gehweg vorhanden oder die Straße nicht breit, die Teerdecke nicht hoch genug ist, gilt die Straße, obwohl vorhanden und täglich genutzt, nicht als ordnungsgemäß hergestellt und den Anwohnern geht kein Bescheid zu, ihren Beitrag zu zahlen. Das blieb bisher oft nicht nur 25 Jahre, sondern sogar bis zu 40 Jahre lang so.

Noch eine zweite Frist sieht das neue Gesetz vor: eine Übergangsregelung. Alle Straßen, die seit mehr als 25 Jahren als nicht fertig gelten, aber bis zum 1. April 2021 doch noch vorschriftsgemäß gebaut werden, dürfen noch mit den Anwohnern abgerechnet werden. Die Stadt Dachau zieht daraus den Schluss, dass sie in einer Hauruck-Aktion alle betreffenden 46 Straßen innerhalb dieser Frist herstellen muss. Tut sie das nicht, würde sie Gelder verschwenden. So die Einschätzung der Rechtsaufsicht im Landratsamt, der die Stadt zu folgen gedenkt. Denn nach der Frist könnte sie nur noch Geld nach der Straßenausbaubeitragssatzung verlangen. Damit würde sie bis zu drei Millionen Euro weniger von den Anwohnern bekommen.

Nicht alle Verwaltungen und Räte in den Gemeinden des Landkreises sehen das allerdings so verbissen. Auch Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) erklärte in der Bauausschusssitzung im September, die Stadt habe zunächst bis zur gesetzten Frist alle Straßen herstellen wollen, die eben zu schaffen sind. Die Mehrkosten danach müsse sie eben tragen. Erst nach Rücksprache mit dem Landratsamt habe man sich besonnen. Die Verwaltung glaubt, den Ernst der Lage als eine der ersten und wenigen bereits voll erfasst zu haben und will daraus einen Vorteil ziehen. Im Bauausschuss herrschte größte Aufregung. In Bayern werde ein Bauboom ausbrechen, ein Rangeln um Baufirmen und vor allem um Ingenieure wurde befürchtet. In Windeseile einigten sich die Stadträte, die sich sonst gern um jeden Haushaltsposten streiten, eine Ingenieursstelle für das Bauamt auszuschreiben. Nicht etwa befristet, nein, unbefristet, um bessere Chancen zu haben.

Kein Grund zur Panik

Es könnte allerdings sein, dass Dachau am Ende ganz allein los rennt. Das Innenministerium sieht jedenfalls keinen Grund zur Panik. Natürlich sollen die Kommunen Prioritäten setzen, heißt es dort. Sie sollen unter Ausnutzung aller zur Verfügung stehenden Mittel prüfen, wie viele Straßen sie während der Übergangsfrist noch herstellen können. Außerdem werden sie angewiesen, sich mit der Rechtsaufsichtsbehörde "ins Benehmen zu setzen und diese zu informieren", erklärt Ministerialrat Stefan Frey. Doch noch eines teilt er in größter Gelassenheit mit: "Dass es infolge der neuen 25-jährigen Erhebungshöchstfrist unter Umständen zu Beitragsausfällen bei den Kommunen wird kommen können, war dem Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 8.3.2016 durchaus bewusst."

Von Veruntreuung ist bei ihm keine Rede. Im Gegenteil: Das Gesetz ist eigentlich dazu gedacht, Anwohner vor überzogenen Ansprüchen nach Ablauf einer viel zu langen Zeit zu schützen. Das hätte auch den Bewohnern der Dr.-Muhler-Straße nutzen können, deren Straße in den Siebzigern angelegt wurde. Sie sehen Zahlungen zum Bau ihrer Straße als nicht gerechtfertigt an. Diese gilt in den Augen der Stadt seit den Bauarbeiten 2015 als ersthergestellt. Die Bürger sehen das anders. Sie behalten sich vor, gegen die Stadt vor Gericht zu gehen, wenn sie den Beitragsbescheid erhalten. Auch hier stehen für den Einzelnen mehrere Tausend Euro auf dem Spiel. Der Dachauer Stadtrat hat in seiner jüngsten Sitzung beschlossen, Geld für die Bauarbeiten und die Stellen bereitzuhalten und einen Mediator zu beauftragen - um Streit abzuwenden.

© SZ vom 12.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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