Bergkriterium Dachau:Sein letztes Rennen

Lesezeit: 4 min

Vor zehn Jahren wanderte der Dachauer Markus Schwarzmüller nach Spanien aus. Beim 61. Dachauer Bergkriterium feiert der Radsportler Abschied in seiner Heimatstadt.

Andreas Glas

- Am Ende hat es dann doch nicht gereicht. Der Fuß war einfach zu dick, als Armin Praml am Morgen vor dem Rennen aus dem Bett stieg. Vor zwei Monaten träumte er noch vom Sieg beim 61. Dachauer Bergkriterium, dann setzte ihn eine Keiminfektion außer Gefecht. Bis zum letzten Tag hatte er gehofft, wenigstens mitfahren zu können. Doch als um 12 Uhr das Rennen der Hobbyklasse startet, steht Praml am Streckenrand und muss zuschauen. "Das ärgert mich schon", sagt der 30-Jährige sichtlich zerknirscht. Geärgert haben dürfte Pramls kurzfristige Absage auch die Veranstalter. Was hätte das für eine Geschichte werden können: Praml, vor drei Jahren noch 190 Kilo schwer, gewinnt sein Heimrennen in Dachau.

Oberbürgermeister Peter Bürgel ehrte Lokalmatador Markus Schwarzmüller bei seinem Abschiedsrennen. (Foto: © joergensen.com)

Ein Glück, dass das Radrennen durch die Dachauer Altstadt noch mehr wundersame Geschichten zu bieten hat. Eine davon kann Markus Schwarzmüller erzählen. Während das Rennen der Hobbyklasse zu Ende geht, liegt der 46-Jährige auf einer Behandlungsbank neben der Strecke. Ein Sponsor hat die Bänke vor dem Rathaus aufgestellt. Wer möchte, kann sich unter einem Zeltdach kostenlos massieren lassen. Auch Schwarzmüller lässt sich noch einmal die Oberschenkel kneten, bevor er in knapp zwei Stunden im Elite-Rennen an den Start geht. Mit Physiotherapeuten ist er bestens vertraut, er hat die härteste Zeit seines Lebens auf Behandlungsbänken verbracht. Am Tag seines letzen Radrennens erinnert an diese Zeit nur noch eine tiefe Delle in der Stirn.

"Meine Überlebenschancen standen eins zu eine Million", sagt Rad-Profi Schwarzmüller, der viele Jahre auch Rennen auf dem Motorrad fuhr. Fünf Jahre ist es inzwischen her, dass bei Testfahrten im spanischen Cartagena der Motor explodierte. Urplötzlich. Bei Tempo 260. Ein halbes Jahr liegt Schwarzmüller im Koma. Als er aufwacht, kann er nicht laufen, nicht reden, nicht sehen. Nach zwei Hirnoperationen geht es in die Reha. Zwei Jahre lang. Kaum hat er das Krankenhaus verlassen, sitzt er wieder auf dem Rad - entgegen den Ratschlägen der Ärzte. Dass er seit zwei Jahren wieder Radrennen fährt, ist ein medizinisches Wunder. Trotzdem ist das Bergkriterium sein letzter Wettkampf: "Irgendwann muss eben Schluss sein. Aber ein weinendes Auge ist schon dabei."

Vor zehn Jahren ist Schwarzmüller nach Spanien ausgewandert, seit geraumer Zeit fährt er für das Madrider Rad-Team Salchi. Für sein Abschiedsrennen ist er in seine Heimatstadt Dachau zurückgekehrt. Dorthin, wo seine Karriere einst begann. Mitgebracht hat er zwei spanische Teamkollegen: Andrés Flor und Iván Martinez. Eine Stunde vor dem Elite-Rennen sitzen die beiden in der Eingangshalle des Dachauer Rathauses und trinken Milchkaffee aus Pappbechern. "Wir werden Markus sehr vermissen", sagt Flor über Schwarzmüllers Entschluss, seine aktive Laufbahn zu beenden. "Aber als Freund bleibt er uns ja. Und so wie ich ihn kenne, wird er weiterhin mit uns trainieren." Das sei auch gut so, schließlich sorge Schwarzmüller für die Struktur im Trainingsbetrieb. "Er ist immer noch sehr deutsch", witzelt Martinez.

Und dann sagt Martinez etwas, das man aus dem Munde eines Spaniers nicht unbedingt erwarten würde: "Hier in Dachau ist es viel feierlicher als bei uns in Spanien. Bei spanischen Radrennen steht eher der Sport im Vordergrund." Was Martinez meint, ist das vielfältige Rahmenprogramm abseits der Rennstrecke: Neben dem Zielstrich spielt die Dachauer Knabenkapelle bayerische Blasmusik, vor dem Rathaus wird gegrillt und Bier ausgeschenkt, die Sponsoren haben Stände aufgebaut - und obendrein strahlt auch noch die Sonne. "Es rührt sich was und das Wetter passt", sagt auch Veranstalter Wolfgang Moll. Hatten im vergangenen Jahr Regenschauer für zahlreiche Stürze gesorgt, bleibt das Kopfsteinpflaster der Dachauer Altstadt diesmal den ganzen Tag über trocken.

Zwar verlaufen die Rennen heuer glimpflich, doch ist es diesmal die Hitze, die den Rennfahrern zu schaffen macht. Immer wieder geht es den Berg am Rathaus hoch und runter, immer wieder über den Rundkurs entlang der Augsburger Straße, der Mittermayerstraße und der Konrad-Adenauer-Straße. Zwischen Absperrgittern hindurch und an Strohballen und rund 4 000 Zuschauern vorbei. Und all das bei fast 30 Grad. Entsprechend nass geschwitzt ist nach dem Rennen Maik Hamann. Zum zweiten Mal nach 2009 ist der Nürnberger an den Start gegangen, zum zweiten Mal gewinnt er das Kriterium in der Hobbyklasse.

Um kurz vor 18 Uhr steht dann auch der Gewinner des 60 Kilometer langen Elite-Wettbewerbs fest. 44 Mal geht es über den Berg am Dachauer Rathaus, in jeder vierten Runde werden Wertungspunkte vergeben. Die meisten Punkte hat am Ende Florenz Knauer vom Team Baier Landshut. Knauer kann sich in der Punktewertung bereits früh im Rennen absetzen von Favorit Björn Thurau, dem Sohn der Radsportlegende Didi Thurau, der auf dem zweiten Platz landet. Thurau junior hatte das Bergkriterium bereits in den Jahren 2009 und 2010 gewonnen. Auf dem dritten Rang landet in diesem Jahr der Fürstenfeldbrucker Florian Völk vom RC Herpersdorf.

Für Markus Schwarzmüller ist das 61. Dachauer Bergkriterium indes nach neun Runden vorbei. Bereits in der zweiten Runde hat er einen Platten und muss das Hinterrad wechseln. Er kämpft sich zwar noch einmal an das Verfolgerfeld heran, doch nach neun Runden ist dann endgültig Schluss für den Dachauer Lokalmatadoren: wieder ein Platten, vermutlich ist er über eine Glasscherbe gefahren. Den Rest des Rennens verfolgt Schwarzmüller dann neben der Rennstrecke, im Biergarten. Sein spanischer Teamkollege schafft es immerhin ins Ziel, wenn auch nur im Verfolgerfeld. Eine Enttäuschung sei sein Abschiedsrennen trotzdem nicht gewesen, sagt Schwarzmüller: "Ich bin ja nicht nach Dachau zurückgekommen, um zu gewinnen, sondern um Tschüss zu sagen. Das passt schon. Fertig."

© SZ vom 16.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: