Auswirkungen von Corona:Alltag im Ausnahmezustand

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Leere Regale sind in den Supermärkten in Dachau und im Landkreis in diesen Tagen keine Seltenheit. Hamsterkäufe sind allerdings überhaupt nicht angebracht. Die Lebensmittelversorgung ist gesichert und auch diese Regale sind rasch wieder aufgefüllt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Viele Dachauer treibt die Frage um, wohin die Corona-Krise noch führen wird, und sie stürzen sich in Hamsterkäufe. Dabei ist die Grundversorgung nicht gefährdet. Hart getroffen sind Einzelhändler, die ihre Läden schließen müssen.

Von Julia Putzger und Mona Marko, Dachau

In den sozialen Netzwerken und bei alltäglichen Gesprächen, überall treibt die Dachauer eine Frage um: Was geht noch bei den strengen bayerischen Verordnungen rund um das Coronavirus? Eigentlich informiert das Landratsamt umfassend auf seiner Homepage: Um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, müssen alle Unterhaltungseinrichtungen schließen, sind Veranstaltungen verboten und dürfen Restaurants nur noch bis 15 Uhr öffnen. Aber so leicht gewöhnt man sich nicht an einen Alltag im Ausnahmezustand. Die eine oder andere Erledigung, klagen viele, müsste doch noch möglich sein. Aber nur wenn sie Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Drogerien, Banken, Poststellen, Wertstoffhöfe, Tierbedarfs- und Baumärkte betrifft. Die sind geöffnet. Viele andere Einzelhändler müssen ihre Ladentüren aber vorerst schließen.

Handwerker und Dienstleister wie Friseursalons können ihrer Tätigkeit weiter nachgehen. Natascha Dill-Köppl vom Salon Lill and Lill in Dachau sieht die Vorgabe aber kritisch: "Wir Friseure sind Handwerker, aber wir stehen nicht am Dach oder liegen nicht unter dem Auto, sondern wir sind wirklich hautnah am Menschen dran und können den Abstand, der gerade so wichtig ist, einfach nicht gewährleisten." Vor allem die Kosmetikerin im Laden arbeite meist eine bis eineinhalb Stunden lang direkt über den Gesichtern der Kunden, erklärt Dill-Köppl. "Wir selbst haben keine Angst, krank zu werden. Aber wir tragen das ganze ja nach außen, zumindest in unsere Familien." Vereinzelt sagten Kunden Termine ab, so Dill-Köppl, andere jedoch kämen noch schnell zum Haareschneiden, aus Angst, sie könnten es bald nicht mehr tun. "Das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits geht es um Umsatz, andererseits darum, das Virus nicht weiter zu verbreiten." Dill-Köppls Salon bleibt offen, allen Friseuren bleibt nichts anderes übrig, als Abstand vom Kunden zu halten, weniger Gespräche zu führen und gründlich zu desinfizieren.

Auch die Autowerkstätten haben noch geöffnet. "Es ist ein bisschen weniger los, aber uns trifft es zum Glück noch nicht ganz so hart wie andere", sagt Wolfgang Gasteiger vom gleichnamigen Kfz-Meisterbetrieb in Dachau. In den Fahrschulen des Landkreises entfallen die Theorieeinheiten in den nächsten zwei Wochen, bereits vereinbarte Fahrstunden finden aber statt.

Die Epidemie stellt alles auf den Kopf: Von wegen klimafreundlicher Umstieg auf Bahn, Bus oder Rad. Wer jetzt sein Fahrrad nach der Winterpause noch schnell in Schuss bringen lassen will, hat schlechte Karten. Fahrradhändler mit integrierter Werkstatt, zum Beispiel Radsport Jako in Dachau, sind geschlossen. Gerade jetzt zum Start der Saison sei das ein großes Problem. Schon in den letzten Wochen seien weniger Kunden als gewöhnlich gekommen, dafür hätten viele zu Beginn der Woche noch ihr Fahrrad zur Reparatur gebracht. Man versuche, davon noch so viel wie möglich zu erledigen, informiert Radsport Dachau - wie es weitergeht, weiß aber auch dort niemand.

Zahlreiche andere Einzelhändler in der Münchner Straße sind hart getroffen. "Das ist eine Vollkatastrophe", sagt Isabel Seeber, Vorsitzende des Bundes der Selbständigen (BDS), eines Zusammenschlusses der Geschäftsleute in der Münchner Straße. Sie selbst betreibt das Schokoladengeschäft Candisserie, das zumindest momentan noch geöffnet ist, da es als Lebensmittelgeschäft gilt. Von ihren Kollegen in Österreich, wo ähnliche Verordnungen wie in Bayern schon ein paar Tage früher in Kraft getreten sind, weiß sie aber: Die anfängliche Formulierung, der zufolge der "Einzelhandel für Lebensmittel" nicht geschlossen wird, ist wenig später spezifiziert worden - Schokoladengeschäfte mussten dann doch schließen. Da das Ostergeschäft für Seeber aber der Höhepunkt im Jahr ist, bereitet sie sich auf eine mögliche Schließung schon jetzt vor: Sie möchte einen Onlineshop und einen Lieferservice für Dachau und Umgebung auf die Beine stellen, um ihre Produkte zu den Kunden zu bringen. "Wir sind voll bis unter die Decke, da wäre eine Schließung sehr einschneidend", sagt Seeber. Einen Onlineshop wollte sie schon seit Längerem aufbauen, nur fehlte stets die Zeit - die sie nun auf Grund der wenigen Kunden aber hat.

Stillstand: in Markt Indersdorf ein leeres Gewerbegebiet und viele freie Parkplätze vor den geschlossenen Non-Food Geschäften. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Seeber sorgt sich sehr um ihre Kollegen in der Münchner Straße. Bisher sei noch keine Zeit gewesen, über gegenseitige Unterstützung zu sprechen - zu sehr sei jeder mit den eigenen Problemen beschäftigt gewesen. Zwar gibt es auch einige Geschäfte, die weiter geöffnet sind - Apotheken, Bäcker oder Optiker - doch die Einkaufszeile in Dachau wirkt schon fast ausgestorben. Geschlossen sind seit Mittwoch unter anderem das Trachtenfachgeschäft Ullman, Spielwaren Schmidt oder die Gärtnerei Blumenfenster. "Natürlich sind das keine Maßnahmen, um uns zu schaden, sondern um das Virus zu bekämpfen", sagt Seeber, "aber für viele ist das existenzbedrohend". Ebenso überrumpelt von den Geschehnissen wurde Hans Seidl. Zwar ist in seinen Fotoladen in der Augsburger Straße ein Paket-Abholshop integriert, aber er hoffte darauf umsonst. Zwar sind Poststellen und der Onlinehandel von den Einschränkungen nicht betroffen - aber Seidl musste am Mittwoch nichtsdestotrotz schließen. Wie es weitergeht, wisse er selbst noch nicht, sagt er.

Zeitungen und Illustrierte können die Dachauer noch erwerben. Rudolf Holzfurtner, der in der Friedensstraße einen Schreibwarenhandel samt Zeitungsverkauf und Lottoannahmestelle betreibt, ändert aber beispielsweise seine Öffnungszeiten und hat in nächster Zeit nur noch vormittags geöffnet. "Wir machen das, weil bei uns zur Zeit die Schulranzen-Beratung wegfällt, auf die wir spezialisiert sind. Beratungen bieten wir derzeit nicht an, weil wir dabei viel zu nah an die Kinder ran müssen", sagt Holzfurtner.

Alle kulturellen Veranstaltungen sind bis auf weiteres abgesagt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Überall in Bayern, eines der am härtesten betroffenen Bundesländer, kaufen Bürgerinnen und Bürger die Regale in Supermärkten leer - nicht zuletzt horten sie offenbar auch große Mengen an Toilettenpapier. Angst geht um. Dabei ist Lebensmittelversorgung laut Behörden in Dachau weiter gesichert und die Geschäfte werden nicht geschlossen - Hamsterkäufe sind unnötig und nicht angebracht. Auch die Bäckerinnung versichert, dass genug Mehl vorhanden ist und selbst kleine Betriebe nicht geschlossen werden. "Die kleinen Handwerksbetriebe vor Ort werden die Produktion aufrecht erhalten", beruhigt Innungsmeister Peter Denk. Das gelte auch für die Metzgereien im Landkreis. Niemand müsse um die Grundversorgung bangen, sagt Denk.

Restaurants und Gasthäuser dürfen nur noch bis 15 Uhr öffnen, zwischen den einzelnen Kundentischen müssen mindestens eineinhalb Meter Abstand eingehalten werden. Nach 15 Uhr sind Lieferungen oder der Verkauf zum Mitnehmen möglich. Daran halten sich auch die Betriebe in Dachau wie die Pizzeria Mamma Rosa. Die Corona-Krise hat der Gastronomie schon seit ein paar Wochen Umsatzrückgänge gebracht. Die Menschen kommen nicht mehr in großer Zahl. Nicht klagen kann der Pizza-Service. Bianca Gurdita sagt: "Bisher gab es für uns keine Änderungen. Man kann auch nicht viel über die Kunden sagen, das ist ganz unterschiedlich." Am Samstag habe es zum Beispiel sehr wenige Bestellungen gegeben, am Sonntag dafür sehr viele.

Verwaist wirken auch Straßen in Dachau. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Francesco Palmieri, der die Enoteca Palmieri in der Dachauer Altstadt betreibt und Weine und italienische Spezialitäten anbietet, gelegentlich aber auch für seine Gäste kocht, fürchtet sich nicht vor einer möglichen Schließung. Da er in erster Linie Lebensmittel verkaufe, betreffen ihn die momentanen Regelungen noch nicht. Trotzdem verzeichnet er deutlich weniger Kunden. Schon im Februar habe er 30 Prozent Verlust gemacht, für den März rechne er mit mindestens 40 Prozent weniger Umsatz als gewöhnlich, sagt Palmieri. Auch bei ihm hätten die Leute "ein, zwei Packungen mehr" mitgenommen, wirkliche Hamsterkäufe gab es aber nicht.

Neben all dem sorgt sich Palmieri um seine Heimat Kalabrien, wo die Pandemie wütet und die medizinische Versorgung sehr schlecht sei. Doch auch die Lage in Deutschland sieht er kritisch und stellt fest: "Die Leute hier sind noch zu naiv."

© SZ vom 19.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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