Ausstellung:Leben nach dem Überleben

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Anna Andlauer (rechts) gab den Anstoß zur Ausstellung. Schulleiter Thomas Höhenleitner und Lehrerin Cornelia Treml (li.) zollten den Schülern Respekt: Anna-Lena Fischhaber, Melina Philippen, Lisa Bögl, Alexander Ulbrich und Timo Scherle. (Foto: Toni Heigl)

Schüler beeindrucken mit Ausstellung zum Kinderzentrum Indersdorf

Von Daniela Gorgs, Markt Indersdorf

Was macht Erinnerungskultur aus? Und wie kann das Erinnern in Zukunft gestaltet werden, damit auch jüngere Generationen einen sinnvollen Umgang mit dem historischen Erbe finden? Das Thema Holocaust an Schüler zu vermitteln, ist eine pädagogische Herausforderung. Das weiß auch Cornelia Treml, Geschichtslehrerin am Gymnasium in Markt Indersdorf. Und deshalb sagte sie der Zeitgeschichtsforscherin Anna Andlauer aus Weichs zu, als sich diese mit der Idee eines Schülerprojekts an sie wandte.

In einem P-Seminar befragten 15 Schüler Menschen, die als Kinder und Jugendliche die Verfolgung durch den NS-Staat überlebt hatten und sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Kinderzentrum Indersdorf auf ein neues Leben vorbereiteten. Zwei Jahre lang spürten die Indersdorfer Gymnasiasten die Nachkriegsgeschichte an ihrem Heimatort nach. Sie ließen sich auf die Begegnung mit Zeitzeugen ein, die damals so alt waren wie sie, als sie unmittelbar nach dem Krieg im Internationalen Kinderzentrum Indersdorf Zuflucht fanden. Die Schüler erstellten bewegende Porträts von 20 jüdischen Überlebenden aus Polen und Ungarn, die von August 1946 bis September 1948 unter der Obhut des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen in Markt Indersdorf betreut wurden.

Vor genau einem Jahr durften die Schüler die Verfolgungsschicksale unter dem Titel "Leben nach dem Überleben" im Janusz-Korczak-Haus in München vorstellen. Zudem zeichnete das Ministerium die Schülerarbeit mit einem P-Seminarpreis aus. Im vergangenen Jahr absolvierten die Schüler das Abitur. Und doch, die meisten von ihnen kehren am Freitagabend zurück an ihre alte Schule, um am Vorabend des Gedenkentags an die Opfer des Nationalsozialismus die überarbeitete Ausstellung in ihrer alten Schule zu präsentieren und noch einmal nachzuspüren, wie das war vor zwei Jahren, als sie per E-Mail ihre Zeitzeugen kontaktierten.

Das war nicht einfach, sagt Timo Scherle. Wie wendet man sich an jemanden, wenn man keine Vorstellung davon hat, was dieser in jungen Jahren durchgemacht hat? Anna Andlauer hatte den Schülern gesagt, sie sollten möglichst offen fragen und ihren Gesprächspartnern zugestehen, nicht auf alle Fragen antworten zu müssen. Am Freitagabend steht Timo Scherle vor dem Porträt von Itzchak Gilboa. Die Geschichte des ungarischen Jungen hatte Scherle zusammen mit dem Schulkameraden Robert Reisenegger erforscht und aufgeschrieben. Nach der Befreiung erreichte der Junge, der all seine Verwandten verloren hatte, das Kinderzentrum Indersdorf. Von dort führte sein Weg mit der britischen Marine und einem Zwangsaufenthalt auf Zypern nach Erez Israel. In einem Kibbuz lernte Itzchak Gilboa eine Amerikanerin kennen, verliebte sich in sie und ging mit ihr nach New York. Nur mit ihr sprach er über seine Erfahrungen im Holocaust und öffnete sich erst kurz von seinem Tod auch gegenüber anderen Menschen. Itzchak Gilboa starb 2016 in Phoenix, Arizona. Und Timo Scherle, der jetzt vor Gilboas Porträt steht, begreift, wie wichtig seine Arbeit war. Er konnte dem Zeitzeugen noch zuhören, der authentisch von seinen Erfahrungen berichtete. Jetzt geht das nicht mehr. Schulleiter Thomas Höhenleitner ist mächtig stolz auf seine ehemaligen Schüler, die einen wertvollen Beitrag zur Dokumentation der Geschichte von Markt Indersdorf in der Nachkriegszeit leisteten. Und sich mit viel Fingerspitzengefühl auf die Begegnung mit den Zeitzeugen einließen. Durch die Beschäftigung mit den Folgen des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte würden diese jungen Menschen, so hofft Höhenleitner, sich ihrer politischen Verantwortung für die Gestaltung der Gegenwart bewusst werden und für Solidarität in der Gesellschaft eintreten.

Etwa 50 Besucher kamen am Freitag in die Schule, unter ihnen Gemeinderäte, Bürgermeister Franz Obesser, Anton Wagatha vom Heimatverein, die CSU-Politiker Katrin Staffler und Bernhard Seidenath. Sie alle zollten den Schülern Respekt. Und natürlich Anna Andlauer, die mit der Ausstellung "Zurück ins Leben" über das einstige Kinderzentrum in Indersdorf sogar im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York begeisterte. Die Ausstellung sowie die Porträts der Schüler sind noch bis zum 23. Februar im Gymnasium zu sehen. Dort gibt es auch die Broschüre, in der die Biografien der Zeitzeugen zusammengefasst sind.

© SZ vom 29.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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