Ausstellung:Analoge Sehnsüchte

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Simona De Fabritiis und Heiko Klohn stellen gemeinsam in der KVD-Galerie aus. Die Künstlerin der jungen Generation mit dem Thema Internet und der Zeichner der alten Schule mit sozialkritischem Impetus passen zusammen

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Die unterschwellige Manipulation von Menschen ist seit Generationen ein zentrales Thema von Künstlern. Staatliche Kontrolle, geheimdienstliche Überwachung und gezielte Gehirnwäsche. Darauf referieren Heiko Klohn und Simona De Fabritiis in der Galerie der Künstlervereinigung Dachau mit dem zeitlos anmutenden Motto "Schöne neue Welt". Sie zitieren den Titel eines dystopischen Romans von Aldous Huxley aus dem Jahr 1932. Insofern bedienen sie sich selbst eines literarischen Klischees von der unsichtbaren Macht.

Allerdings in einer Form, die überrascht. Klohn und Fabritiis zeichnen kein Schreckensszenario. Ihnen geht es nicht um Geheimdienste und Kontrolle im herkömmlichen Sinn. Die 25-jährige Multimedia-Künstlerin Fabritiis, die gerade an der Kunstakademie München studiert, betrachtet in ihren Arbeiten die Auswirkungen der digitalen Welt. Heiko Klohn, 36 Jahre älter und ebenfalls aus Dachau, gehört zu einer anderen Künstlergeneration. Sein Thema ist die Kritik an der Politik, an populistischen Auslassungen und an der Arroganz der Menschheit. Klohn ist schon lange dabei, er kann vergleichen: Was hat sich verändert in dieser Welt nach all den Jahren? Ist sie eine "Schöne neue Welt"?

Sie könnte es tatsächlich sein, scheinen die Künstler mit ihrer Ausstellung zu sagen: Wenn die Menschen bloß häufiger die Augen öffnen würden. Im Privaten, im Umgang mit dem Planeten und beim Genuss dessen, was ihnen in Fernsehen und Internet serviert wird.

Fabritiis tut das vor allem in der Form der Selbstbeobachtung, Klohn wird politisch. Sein Galgenhumor lässt bisweilen vermuten, er hätte die Welt schon längst aufgegeben. Es ist beim ersten Blick nicht leicht, die Werke der beiden auf einen Punkt zu bringen. Beim genauen Hinschauen zeigt sich, dass die Verschiedenheit der Werke nur für das Äußere gilt. In jedem Fall ist klar: Klohn und Fabritiis ist eine aufregende Schau gelungen, die viele gute Fragen stellt.

Heiko Klohn entlarvt die Ordnung der Dinge als bedrückende Rationalisierung. (Foto: Toni Heigl)

Fabritiis grenzt sich klar von ihren Altersgenossen der Post-Internet-Art ab. Ihr Werk ist nicht ein leidiges Muss, das nur dazu da ist, später im Netz reproduziert zu werden. Im Gegenteil. Sie macht Virtuelles greifbar, physisch, analog. Um seiner selbst willen, nicht, weil die Ausstellung in Galerien und Museen nun mal dazu gehört, wenn man es im Kunstbetrieb zu etwas bringen will.

Der Begriff Post-Internet-Art wurde 2008 von der deutsch-amerikanischen Künstlerin Marisa Olson geprägt. Er bezieht sich auf die Gruppe der Digital Natives, also von der Mitte der 80er Jahre an Geborenen, die mit dem Internet aufgewachsen sind und Kunst mit dem machen, was sie im Internet finden. "Post" wird nicht im herkömmlichen Sinn gebraucht, sondern als Ausdruck der Selbstverständlichkeit, mit der das Internet zum Alltag der Künstler gehört. Fabritiis macht zwar Kunst über und mit dem Internet, aber nicht vor allem für das Internet, wie viele Künstler der Post-Internet-Art-Szene. Sie ist auf der Suche nach dem Analogen. Danach hat sie Sehnsucht, und gleichzeitig entzieht sie sich dem immer wieder selbst. Das ist ihre künstlerische Suche, an deren Anfang sie noch steht. In der Ausstellung thematisiert sie die besonders deutlich mit ihrer Installation, die den idealen Ort darstellt: Ein gemütliches Bett mit Decke, Lampe und Weinglas, das zugleich mit Laptop ausgestattet als Arbeitsplatz fungiert. Baum und Büsche symbolisieren die Sehnsucht nach der Natur, die der virtuellen Welt auf dem Laptop entgegensteht.

Klohn wie Fabritiis hätten sich auch allein zeigen können. Aber gemeinsam erschaffen sie etwas Neues: Eine Spannung, die nur auf den ersten Blick als Konflikt erscheint. Auf den zweiten löst er sich in etwas Aufregendes auf. Die Künstler treffen sich teils konkret inhaltlich und dann für den Betrachter leicht erkennbar. Etwa wenn sie beschreiben, wie Fernsehen oder Internet Menschen fast bis zur Gehirnwäsche beeinflussen, und wie widerstandslos Menschen sich beeinflussen lassen. Auf einer höheren Ebene eint ihre Arbeiten die Kritik an Substanzlosigkeit.

Bei Fabritiis ist es die Substanzlosigkeit des Lebens im Internet. Die Heuchelei in sozialen Medien. Die Stunden, die man im Netz verbringt, ohne tatsächlich voran zu kommen - wunderbar witzig dargestellt als Lade-Symbol in der Form eines Purzelbaum schlagenden Menschen, der die Bewegung unendlich oft wiederholt, ohne sich vorwärts zu bewegen. Oder die verzweifelnde Leere von Videoanrufen per Skype. Fabritiis spürt ihr mit zwei Bildschirmen nach, auf denen Münder versuchen, sich zu küssen, aber sich nie nahe genug dafür kommen. Wer einmal eine Fernbeziehung geführt hat, kann schmerzhaft nachspüren, was die Künstlerin sagen will. Sie weiß, wovon sie spricht. Ihre Kunst macht sie nicht arrogant von oben herab, als sei sie selbst ausgenommen von ihrer Kritik. Sie moralisiert nicht. Gerade aus der Beobachtung ihres eigenen Ichs in der virtuellen Welt entstehen ihre Werke. Deshalb ist sie auch die Darstellerin in all ihren Videoperformances.

Den Schein von Intimität der Internetgeneration zerstört Simona De Fabritiis. (Foto: Toni Heigl)

Kritik an Politikern und der selbstzufriedenen Weltsicht westlicher Gesellschaften gehören nicht zu ihren Themen. Diesen Aspekt bringt Klohn in die Ausstellung, und er vervollständigt sie damit. Er geht hart ins Gericht mit der Menschheit. Mal voller Sarkasmus, wenn er ein Spiegelei in den Weltraum fliegen lässt. Eine goldene Platte mit den vermeintlichen Errungenschaften der Zivilisation - ob sie wohl jemand da draußen im Universum findet und genau so beeindruckt ist wie die Menschheit von sich selbst? Mal mit sporadischer Ernüchterung, wie bei "Ausgeträumt". Vor Jahren hat er sie schon einmal gezeichnet, die Giraffe, die eine Treppe herab gestürzt ist. Für "Schöne neue Welt" hat er sie gespiegelt und lässt sie auf der anderen Seite noch einmal herab stürzen. "Doppelt ausgeträumt", ist sein Kommentar dazu. Sein Resümee über eine Welt, in der sich nicht viel getan hat. Und die Menschen? Haben sich innerlich nicht weit weg vom Affen entwickelt, sagen seine Bilder. Die Themen dieser Ausstellung sind nicht neu, aber sie werden auf erfrischende Art zur Sprache gebracht. Im Kern ist "Schöne neue Welt" eine Warnung vor Gutgläubigkeit und ein Appell zur Selbstkritik.

Durch die Kombination mit den Installationen und Videos von Fabritiis im selben Raum erscheinen Klohns Zeichnungen in ungewohntem Zusammenhang. Sie werden vor einem anderen Hintergrund als sonst präsentiert, so ändert sich die Perspektive. Die Ausstellung ist nicht einfach nur schön oder nur witzig. Sie stimuliert auf selbstironische Weise Gedanken über die eigene Person. Da treffen ein alter Hase und ein Frischling aufeinander und tun sich gut.

Bis Sonntag, 10. Juli, in der KVD-Galerie (Kulturschranne).

© SZ vom 05.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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