Amtsgericht:Prostituierte prellt Sozialstaat

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Eine 51-Jährige erhält Arbeitslosengeld und geht gleichzeitig anschaffen. Das Amtsgericht verurteilt sie auf Bewährung

Von Jacqueline Lang, Dachau

Die Frau, die auf der Anklagebank sitzt und von dem Verfahren sichtlich mitgenommen ist, ist gelernte medizinische Fachangestellte. Bereits Ende der Neunzigerjahre kam sie durch ihren damaligen Lebensgefährten mit dem Rotlichtmilieu in Kontakt. Spätestens seit 2005 war sie selbst als Prostituierte tätig, wie Personenkontrollen der Polizei in diversen Etablissements belegen. "Ich hatte keine Chance", sagt die Frau. Fast flüstert sie, als sie von Richter Tobias Bauer gefragt wird, warum sie ihren erlernten Beruf aufgegeben hat. Übermäßiger Drogen- und Alkoholkonsum waren die Folge - und offenbar auch der jahrelange Betrug des Jobcenters.

Aufgeflogen ist der Betrug durch einen anonymen Hinweisgeber: Mehr als 34 000 Euro soll sich die Angeklagte durch falsche Angaben erschlichen haben. Die 51-Jährige soll, ohne dies dem Arbeitsamt mitzuteilen, über Jahre hinweg als Prostituierte gearbeitet und zudem auch finanzielle Unterstützung von ihren Eltern erhalten haben. Geld von dem die Agentur für Arbeit über mehr als acht Jahre lang nichts gewusst und deshalb eine entsprechend höhere Unterstützung genehmigt hat.

Die gebürtige Münchnerin, die in Dachau lebt, lässt über ihren Verteidiger mitteilen, dass sie zwar als Prostituierte gearbeitet habe, jedoch in sehr unregelmäßigen Abständen und weniger gewinnbringend, als vom Jobcenter angenommen. Auch Geld von den Eltern habe sie nur gelegentlich erhalten. Die geforderte Rückzahlung sei damit viel zu hoch bemessen, so die Argumentation.

Wie hoch die zusätzlichen Einnahmen der Angeklagten tatsächlich gewesen sind, lässt sich jedoch auch bis zum Ende der Verhandlung nicht zweifelsfrei feststellen. Auch nicht mit der Aussage von einem der Zeugen, der an die Angeklagte stundenweise Zimmer in seinem Massageklub vermietet hat. Der Mann bestätigt zwar, dass die Frau sich dort mit ihren Kunden eingemietet hat, kann aber nicht mit Sicherheit sagen, wie oft und wie lange.

Weil die Frau von ihrem Schweigerecht Gebrauch macht, bleiben für Richter Tobias Bauer viele andere Fragen offen. Zum Beispiel, wie sie mit dem wenigen Geld, das ihr laut eigenen Angaben für sich selbst und die Verpflegung ihrer minderjährigen Tochter zur Verfügung stand, im Monat 450 Euro für die Unterbringung eines Pferdes aufbringen konnte. Auch auf die Frage eines Schöffen, mit welchem Geld sie die Anzeigen finanziert habe, die sie auf diversen einschlägigen Internetseiten geschaltet hat, um ihre Dienste anzubieten, bleibt sie eine Antwort schuldig. "Sie können mir alles sagen, aber sie können nicht erwarten, dass ich ihnen alles glaube", sagt Bauer. Dass die Angeklagte schweigt, kann zwar nicht zu ihrem Nachteil ausgelegt werden, doch die wenigen Angaben, die sie zu ihrem Fall macht, findet Richter Tobias Bauer "nicht glaubhaft".

Zu ihren Gunsten wird der Angeklagten ausgelegt, dass sie Ende 2017 eine Reha gemacht hat, um ihr Alkoholproblem in den Griff zu bekommen. Seitdem lebt die Tochter wieder bei der Alleinerziehenden. Auch einen Job als medizinische Fachangestellte hat die 51-Jährige nach eigenen Angaben in Aussicht. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung plädieren daher für eine Bewährungsstrafe. Richter Bauer schließt sich diesem Plädoyer an, auch wenn er der Angeklagten Dreistigkeit und Gleichgültigkeit unterstellt. "Sie können doch nicht erwarten, dass die Gemeinschaft bis an ihr Lebensende für ihren Lebensunterhalt aufkommt", mahnt er. Sein Urteil: Ein Jahr und acht Monate auf Bewährung und eine Reihe von Auflagen, wie etwa ein Nachweis der Arbeitsaufnahme. "Wenn es ein Problem gibt, stecken sie nicht den Kopf in den Sand", gibt er der Frau am Ende der Verhandlung mit auf den Weg.

© SZ vom 14.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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