Amtsgericht Dachau:Schlimmer Finger

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Ein 19-Jähriger beleidigt und bespuckt einen Polizeibeamten. Weil er unter Bewährung stand, muss er dafür ins Gefängnis.

Daniela Gorgs

- Der Begriff "schädliche Neigung" dient im Jugendstrafrecht als Hilfsmittel zur Legitimierung einer besonderen Härte. Wenn die aktuellen Lebensumstände des Angeklagten vermuten lassen, dass er über kurz oder lang wieder straffällig werden wird, verhängt das Gericht eine Jugendstrafe. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe weiß, worauf die Frage des Richters, ob beim Angeklagten schädliche Neigungen vorliegen, abzielt. Und sagt entschieden: "Nein, derzeit liegen keine schädlichen Neigungen vor." Der Angeklagte sei auf dem Weg der Konsolidierung.

Ein 19-jähriger Mann sitzt auf der Anklagebank. Nicht zum ersten Mal. Sieben Voreintragungen zeigt der Blick ins Bundeszentralregister. Die Straftatenpalette reicht von gefährlicher Körperverletzung über Diebstahl bis zur fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr. Dagegen klingt der jüngste Vorwurf fast banal. Der 19-Jährige soll einen Polizisten beleidigt haben. Laut Anklageschrift spuckte er dem Beamten in einer Frühlingsnacht dieses Jahres vor die Füße und hielt ihm dann den ausgestreckten Mittelfinger entgegen. Der 19-Jährige stand unter zweifach offener Bewährung. Und deshalb muss er sich jetzt vor dem Jugendschöffengericht verantworten.

Der Angeklagte bestreitet die Vorwürfe und erzählt eine wirre Geschichte. Er war mit Freunden in München unterwegs. Man wollte nach einem Discobesuch mit dem Auto zusammen nach Hause fahren und beobachtete die Polizei, wie sie den Wagen des Freundes abschleppen ließ. Das wollte man verhindern. Warum das Auto entfernt werden sollte, und weshalb der Fahrer zuvor fluchtartig weggerannt war, darüber klärt der 19-Jährige das Gericht nicht auf. Er sagt nur: "Der Fahrer musste auf die Toilette und hielt an." Zu den Beleidigungen befragt, erklärt der Angeklagte, dass er gelegentlich einfach so auf den Boden gespuckt und wild gestikuliert habe. "Die Situation war aufgebracht." Er sei nach fünf Bier angetrunken gewesen.

Der Polizist beschreibt die Vorfälle sehr genau und logisch, als er im Zeugenstand angehört wird. Der 19-Jährige war ihm gleich aufgefallen. Stand mit blutendem Kinn vor der Disco und saß später in dem Auto, das die Polizei abschleppen ließ. Der Fahrer hatte offenbar Alkohol getrunken und die Flucht ergriffen. Die Polizisten ließen das unversperrte Auto zur Eigentumssicherung abschleppen. Der Angeklagte und ein Freund behaupteten, sie gehörten nicht zu dem Auto, störten die Polizisten aber massiv dabei, den Abschleppdienst zu rufen. Die Beamten erteilten ihnen einen Platzverweis - und ließen ironische Sprüche über sich ergehen. Als der 19-Jährige einem Polizisten jedoch den Mittelfinger aus kurzer Entfernung entgegenstreckte, war für diesen Polizisten eine Grenze überschritten. Der Beamte zeigte den jungen Mann an. "Das ging eindeutig zu weit."

Die Bewährungshelferin zeichnet ein anderes Bild von dem Angeklagten. Der 19-Jährige habe sich von seinem jugendtypischen Verhalten verabschiedet. Selbstkritisch und nachdenklich erlebt ihn die Jugendgerichtshilfe. Den Alkoholkonsum jedoch müsse er in den Griff bekommen und lernen, sich abzugrenzen. Weil Staatsanwalt und Vorsitzender Richter Daniel Dorner den Kopf schütteln, bespricht sich der Angeklagte noch einmal mit seinem Verteidiger und entscheidet sich dann für ein Geständnis.

Die Einsicht kommt für das Gericht zu spät. Der Staatsanwalt spricht von einem taktischem Geständnis und plädiert auf eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung. Zu eben dieser Strafe verurteilt das Jugendschöffengericht unter den Vorsitz von Richter Daniel Dorner den Angeklagten unter Einbeziehung der jüngsten Urteile wegen gefährlicher Körperverletzung, die noch nicht vollstreckt wurden.

Die Aussichten für den 19-Jährigen seien schlecht, sagt Dorner. Nach der abgebrochenen Lehre habe der Angeklagte jetzt in der Umschulung zum Sicherheitsdienst versagt. Sollte er sich ernsthaft um eine Alkoholtherapie bemühen, könnte die Perspektive in einem möglichen Berufungsverfahren anders aussehen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

© SZ vom 12.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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