Absturz von CSU und SPD:"Es war viel Frustration zu spüren"

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Viele Bürger machten keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung über die Volksparteien. Die kleineren Parteien haben profitiert. Der SPD-Landtagsabgeordnete Martin Güll räumt persönliche Fehler ein

Von Thomas Hürner, Dachau

Zu einem Jubelsprung hat sich der Grünen-Landtagskandidat Thomas Kreß nicht hinreißen lassen, als die ersten Ergebnisse im Dachauer Landratsamt über den Bildschirm flimmerten. Seine Partei hingegen hat große Sprünge gemacht, nicht nur bayernweit mit ihrem bislang besten Ergebnis überhaupt, sondern auch im Landkreis Dachau, wo sich sowohl die Erst- als auch die Zweitstimmen für die Grünen im Vergleich zu den Landtagswahlen 2013 beinahe verdreifacht haben.

Diese Tendenz bestätigt sich auch bei einem Blick auf die einzelnen Stimmkreise. Bei einer Gemeinde ging die Gunst der Wähler aber besonders nach oben: In Karlsfeld haben die Grünen bei den Erststimmen 19,08 Prozent geholt, bei den Zweitstimmen sogar 20,04 Prozent - das sind jeweils fast viermal so viele wie noch im Jahr 2013. Für Kreß ist zwar klar, dass die Grünen auch "auf einer Welle mitgeschwommen sind" und sich die neue Popularität der Partei in Bayern auch in einzelnen Stimmkreisen abbilde. Der überproportional große Erfolg in Karlsfeld habe aber noch weiteren Grund, glaubt er: den dort erst im Oktober vergangenen Jahres gegründeten Ortsverband. "Örtliche Präsenz und Nähe zum Bürger sind sehr wichtig", sagt Kreß, "das spiegelt sich auch in diesem spezifischen Ergebnis wider."

Nach dem Auszählen der Stimmen bleiben große Überraschungen zwar aus, für die zwei Volksparteien bedeuten die Ergebnisse aber auch im Landkreis Dachau ein mittelschweres Desaster. (Foto: Toni Heigl)

Doch wenn die einen Prozentpunkte dazugewinnen, müssen die anderen sie verlieren. Die SPD war nicht nur bayernweit der große Verlierer der Landtagswahlen, auch im Landkreis setzte es für die Genossen eine verheerende Niederlage. In jedem Stimmkreis hat die Partei im Vergleich zu 2013 Verluste hinnehmen müssen. Manche davon waren marginal, im für die SPD traditionell schwachen Pfaffenhofen (2018: 5,12 Prozent; 2013: 5,90 Prozent) gab es ohnehin nicht viel zu verlieren. Die Wahl fiel für die SPD wohl vor allem deshalb vernichtend aus, weil sie in ihren einstigen Hochburgen herbe Einbußen zu verzeichnen hatte: In Petershausen und Markt Indersdorf etwa, wo man 2013 bei den Erststimmen noch die 30-Prozent-Marke knackte, gingen rund die Hälfte der Wähler verloren, bei den Zweitstimmen waren es sogar noch mehr. Und da wäre ja noch Hilgertshausen-Tandern, die Heimatgemeinde des SPD-Landtagskandidaten Martin Güll: Dort konnte sich zwar die SPD als zweitstärkste Kraft behaupten, mit 19,40 Prozent der Erststimmen sogar noch relativ deutlich. Für Güll, der im Vergleich zur Landes-SPD mit 12,66 Prozent der Erststimmen eigentlich noch gut abgeschnitten hatte, bedeutet das Ergebnis in Hilgertshausen-Tandern aber auch so etwas wie eine persönliche Niederlage: Bei den Landtagswahlen 2013 waren es für ihn noch herausragende 32,16 Prozent gewesen. Besonders schmerzlich ist für Güll aber das schwache Ergebnis in Dachau. In der Großen Kreisstadt kam die SPD auf gerade einmal 14,04 Prozent der Erststimmen, das bedeutet einen Rückgang von etwas mehr als zehn Prozent. "Das gibt mir zu denken", sagt Güll. Es sei "ein strategischer Fehler gewesen", dass er sein Büro von Markt Indersdorf nach Dachau verlegt habe. "Dadurch habe ich mein Stammklientel vernachlässigt, das muss ich mir eingestehen." Den Hauptgrund für den Vertrauensverlust in die bayerische SPD sieht Güll aber in Berlin. "Unsere Arbeit hier wurde durch Streitigkeiten und polarisierende Themen überschattet", sagt er. "Viele Wähler denken einfach und differenzieren nicht." An der grundsätzlichen politischen Gemengelage im Freistaat hat sich für Güll aber nicht viel verändert, nach wie vor seien rund 60 bis 70 Prozent der Wähler konservativ-bürgerlich, der Rest eher im linken Spektrum zu verorten. Güll geht daher davon aus, dass die SPD vor allem an die Grünen Stimmen verloren hat. Unverkennbar seien aber auch viele ehemalige SPD-Wähler zur AfD abgewandert: "Das hat sich an den Infoständen abgezeichnet, es war viel Frustration zu spüren."

Die fortschreitende Erosion der Volksparteien zeigt sich aber h auch am historisch schlechten Ergebnis der CSU. Bei den Landtagswahlen 2013 hatte es noch den ein oder anderen Stimmkreis gegeben, bei dem die Partei mehr als 60 Prozent der Zweitstimmen holen konnte, etwa in Altomünster, Bergkirchen oder Pfaffenhofen an der Glonn. Solche Zeiten scheinen nun weit entfernt. Das beste Zweitstimmenergebnis gab es für die CSU mit 47,10 Prozent in Sulzemoos - ein Absturz um rund 15 Prozent. Bei den Erststimmen verblieben für den CSU-Landtagskandidaten Bernhard Seidenath lediglich zwei Stimmkreise mit einer Vier vor dem Komma: Sulzemoos (44,51 Prozent) und Pfaffenhofen (45,33 Prozent). Über die Veränderungen in den einzelnen Stimmkreisen wollte Seidenath am Tag nach der Wahl noch nicht ausführlich sprechen, diese müssten erst "hinreichend analysiert" werden. Für ihn persönlich bedeuten die 34,23 Prozent, die er im gesamten Landkreis an Erststimmen erhalten hat, aber auch einen kleinen Achtungserfolg: So nahe dran am bayernweiten CSU-Ergebnis (37,2 Prozent) war Seidenath bisher noch nie.

Für die Wahlhelfer im Dachauer Landratsamt bedeutet die höhere Wahlbeteiligung zusätzliche Arbeit. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Für den AfD-Landtagskandidaten Christoph Steier war ein Trend besonders augenscheinlich: In jenen Stimmkreisen, in denen die CSU traditionell stark ist, liegt auch seine Partei außerordentlich hoch in der Gunst der Wähler. "Sie ändern ihre grundsätzliche Meinung nicht, konservativ bleibt konservativ", sagt Steier. "Wir bieten Menschen, die von der CSU enttäuscht sind, eine neue politische Heimat." Ganz unrecht haben dürfte er mit dieser These nicht: Steier und die AfD schnitten besonders stark in Odelzhausen (Erststimmen: 11,67 Prozent), Pfaffenhofen (9,75 Prozent), Bergkirchen (9,80 Prozent) und Altomünster (9,71 Prozent) ab - Stimmkreise, in denen die CSU bei den Landtagswahlen 2013 teilweise noch weit mehr als 50 Prozent holen konnte. Lediglich in Hilgertshausen-Tandern und Weichs, wo die AfD ihr zweit- und drittbestes Ergebnis (10,34 Prozent und 9,98 Prozent) erzielen konnte, war die CSU zuvor nicht ganz so dominant.

Als Gewinner gelten auch die Freien Wähler. "Wir tun uns aber bei städtischen Milieus noch schwer", sagt die Landtagskandidatin Martina Purkhardt. "Das sieht man zum Beispiel bei unseren Kandidaten in München." Im Stimmkreis Dachau reichte es für Purkhardt nur für ihr zweitschwächstes Ergebnis (10,94 Prozent), auch der Zuwachs im Vergleich zu 2013 (8,01 Prozent) war vergleichsweise gering. "Ich bin trotzdem zufrieden", sagt sie, "Hauptsache es geht nach oben."

© SZ vom 16.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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