Dachau:Wie eine ganze Stadt die Abschiebung eines Kosovaren verhindern will

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Der Theresienstadt-Überlebende Ernst Grube (Mitte) mit der Familie Sahiti aus Kosovo: Ensar, Asllan, Nehar, Elma und Nexhmije Sahiti (v.l.). (Foto: privat)

Auf der Flucht vor dem IS ist Asllan Sahiti in Dachau gelandet - und soll nun wieder abgeschoben werden. Doch die Bürger kämpfen für den Kosovaren.

Von Helmut Zeller, Dachau

Im Februar floh der 44-jährige Kosovare Asllan Sahiti mit seiner Familie vor Terroristen des IS nach Bayern. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stufte ihn jedoch als sogenannten Wirtschaftsflüchtling ein. Doch was dann geschah, hätte Asllan Sahiti nie zu träumen gewagt. Eine ganze Stadt kämpft für ihn und seine Familie. Die Stadt heißt Dachau.

Eine ungewöhnliche Allianz aus Vertretern von Kirchen, Politikern, Bürgern und Holocaust-Überlebenden unterstützt eine Petition an den bayerischen Landtag. 70 Dachauer Bürger fordern Asyl für den 44-Jährigen, der seit Mai mit seiner Frau Nexhmije und ihren Kindern Ensar, 16, Nehar, zwölf, und Elma, zehn, im Sammellager auf die Abschiebung wartet. Täglich kommen neue Unterstützer hinzu. Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) ist dabei, der Zweite Bürgermeister Kai Kühnel (Bündnis) und der Präsident des Comité International de Dachau, General Jean-Michel Thomas, dessen Vater Häftling im ehemaligen Konzentrationslager Dachau war.

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Die Petition, auf die sich die letzte Hoffnung der Familie richtet, wurde Anfang dieser Woche von Pater Cornelius Heinrich Denk von der Pfarrei St. Peter eingereicht. Weitere Unterstützer: Björn Mensing, Pfarrer der Versöhnungskirche und Landesbeauftragter der evangelischen Kirche für KZ-Gedenkstättenarbeit, Pastoralreferent Ludwig Schmidinger, Bischöflicher Beauftragter für Gedenkstättenarbeit in der Erzdiözese München, Kreisrat Ludwig Gasteiger (Grüne), der Theresienstadt-Überlebende Ernst Grube, Vorsitzender des Kuratoriums der bayerischen Gedenkstättenstiftung und viele andere.

Von Gewicht ist die Stimme der Priorin Irmengard Schuster. Sie und andere Schwestern des Karmel "Heilig Blut" an der KZ-Gedenkstätte haben einen Brief an den Petitionsausschuss geschrieben: "Gerade als katholische Ordensfrauen möchten wir für diese muslimischen Menschen um eine erneute und verständnisvolle Anhörung ihrer Situation bitten." Im Klosteraufstand gegen die Flüchtlingspolitik der CSU schreitet der Karmel voran. "Wenn es so weiter geht, dann können sie das C aus ihrer Wertvorstellung streichen", sagt die Priorin im Gespräch mit der SZ.

Vor gut zwei Wochen haben 45 bayerische Ordensobere Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) zu einer Umkehr aufgefordert. Die Festlegung der Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer müsse zurückgenommen werden, forderten sie. Auch die Asylanträge von Flüchtlingen wie den Sahitis verdienten eine Einzelfallprüfung, wie es das Asylrecht verlangt. Der Freistaat will aber die Flüchtlinge aus Balkanländern schnell wieder loswerden.

Was Sahiti widerfahren ist

Asllan Sahiti hatte bei der Anhörung von vornherein keine Chance - und das bei seiner Geschichte: Im Januar 2014 sprachen ihn nach dem Besuch der Moschee in der Stadt Vushtrri zwei Wahabiten an. 300 Euro boten sie ihm, wenn er täglich fünfmal in der Moschee betet und sich einen Bart wachsen lässt. 300 Euro fürs Beten, bei einem Durchschnittsgehalt von 400 Euro monatlich in Kosovo, der Verlockung widerstand der Handwerker Sahiti nicht - und beging, wie er heute sagt, den schwersten Fehler seines Leben.

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Denn nach einem Jahr, im Januar 2015, forderten ihn die Wahabiten auf, für den IS in den Krieg nach Syrien zu ziehen. Wenn er sich weigert, drohten die Extremisten, würden sie seinen Sohn Ensar nehmen. Das Bundesamt glaubt ihm nicht. Experten wie Shpend Kursani vom Kosovarischen Zentrum für Sicherheitsstudien (KCSS) bestätigen jedoch, dass es solche Fälle in Kosovo gebe. Fast zynisch klingt für die Dachauer nach den Anschlägen von Paris die Empfehlung der Behörde. Sahiti solle sich bei einer tatsächlichen Bedrohungslage an die kosovarischen Sicherheitsbehörden wenden oder eine innerstaatliche Fluchtalternative wählen. Zeugen würden aber kaum Schutz in Kosovo genießen, sagt Kursani.

Dachau will die Vorzeigefamilie nicht hergeben

Schwester Irmengard ist entsetzt über den Mangel an Empathie. "Unser Christentum fordert uns geradezu heraus, zu diesen Menschen zu stehen", sagt sie. Sahiti ist suizidgefährdet und wird vom Sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas betreut. Die Angst frisst seine 41-jährige Frau auf. Sie ist auf 46 Kilogramm abgemagert und brach in der Caritas zusammen. Da mag man in Dachau nicht einfach zusehen, zumal die Familie die viel beschworene Integration geradezu lebt.

Asllan Sahiti spricht deutsch und wurde zum Elternsprecher der Klasse seines Sohnes Nehar an der Mittelschule Dachau Ost gewählt. Der Verwalter übertrug ihm die Reinigung in der Gemeinschaftsunterkunft. Die Kinder lernten in wenigen Monaten Deutsch. Ensar bestand auf Anhieb die Aufnahmeprüfung in die Flüchtlingsklasse an der Berufsschule, Nehar durfte von der fünften in die siebte Klasse springen - im Helferkreis gelten sie und auch die Tochter als "Vorzeigekinder".

Das rührte auch den Dachauer CSU-Chef Tobias Stephan, der gegen die Linie seiner Partei die Petition mitunterzeichnet hat. Aber er ist in bester Gesellschaft: Auch der Papst hätte sie unterschrieben - davon ist Priorin Irmengard Schuster überzeugt.

© SZ vom 02.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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