Dachau:Bandiera Rossa in Dachau

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Wie Russen und Italiener die Räterepublik verteidigten

Von Peter Bierl, Dachau

"Vergangene Woche nahmen wir nach zweitägigem Kampfe die Stadt Dachau, die von einer Garnison Weißer Garde verteidigt war. Den gestrigen Ostertage verbrachte ich dort. Am Morgen ging ich mit vier anderen Italienern in einen benachbarten Wald auf die Jagd und schossen wir einen Rehbock, den wir verzehrten, während wir sozialistische Lieder sangen." So berichtet Mario Accomasso, ein gelernter Schmied aus dem Piemont. Der 32-Jährige war einer jener italienischen Deserteure und Kriegsgefangenen, die im April 1919 in der Roten Armee für die bayerische Räterepublik kämpften.

Am 15. April hatten 500 Weißgardisten von Pfaffenhofen kommend Dachau besetzt, um den Ring um München zu schließen. In der Stadt wurden sie von Arbeiterinnen der Pulver- und Munitionsfabrik beschimpft und teilweise entwaffnet. Am nächsten Tag vertrieben Arbeiter und Soldaten aus München die Regierungstruppen, es blieb der einzige Sieg der Räterepublik. Das Kommando der Roten Armee formierte aus den Männern fünf Bataillone. Das zweite Bataillon, in dem 20 Italiener und 80 Russen dienten, war besonders diszipliniert. Die Männer hoben in ihrem Abschnitt nördlich der Stadt sofort Schützengräben aus, im Unterschied zu bayerischen Genossen, wie der Kommandeur Erich Wollenberg später berichtete.

Die Russen stammten aus dem Lager in Puchheim. Dort war zu Kriegsbeginn im Moor eines der größten Gefangenenlager in Bayern eingerichtet worden. Im August 1917 waren etwa 16 000 Männer dort zusammengepfercht, überwiegend Russen, aber auch Franzosen und Italiener. Ministerpräsident Kurt Eisner sorgte dafür, dass die Franzosen und ein Teil der Russen bald nach Kriegsende nach Hause entlassen wurden. Italienische Kriegsgefangene wurden zuhause als Verräter und Deserteure verfolgt. Von den verbliebenen Russen schlossen sich etwa 250 der bayerischen Roten Armee an.

Bei den Italienern vor Dachau handelte es sich zum Teil nicht um Gefangene, sondern radikale Linke, die militant den Krieg bekämpft hatten. Ihre vergessene Geschichte hat der Publizist Egon Günther aus Riederau anhand von Archivmaterial rekonstruiert. Einer von ihnen war Accomasso. Er hatte in seiner Lokomotivenfabrik in Vado Ligure Streiks organisiert, wurde zur Armee strafversetzt, nahm am Aufstand in Turin im August 1917 teil und floh nach Zürich. Dort beteiligte er sich Mitte November 1918 am Generalstreik und musste sich nach Deutschland absetzen. Im Januar 1919 war Accomasso an der Besetzung der Vorwärts-Redaktion in Berlin beteiligt, die blutig endete.

In Berlin taucht er ebenso unter wie später in München. Als er in Landsberg aufgegriffen wird, ist die Blutorgie der Rechten vorbei. Im Hochverratsprozess kann er sich herausreden, das Wildern des Rehbocks streitet er ab. Im Herbst 1920 wird er in Savona zum Bürgermeister gewählt, nach der Abspaltung von den Sozialisten ist er der erste Kommunist, der in Italien ein Rathaus leitet. 1921 tritt Accomasso im Streit um den Haushalt zurück und wird 1924 ermordet, vielleicht unter faschistischer Beteiligung.

© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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