Chaos im Berufsverkehr München:Bitte zurückbleiben!

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Die Münchner Verkehrsgesellschaft hat schwer zu kämpfen: Bei der U-Bahn sind Zugausfälle und Verspätungen an der Tagesordnung - und die Züge entsprechend überfüllt. Viele Fahrgäste sind genervt. Eindrücke aus dem morgendlichen Berufsverkehr.

Marco Völklein

Risse an einer schwer zugänglichen Gummimanschette, ein plötzlich aufgetretener übermäßiger Verschleiß an den stählernen Radreifen - mit massiven Problemen hat derzeit die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) bei ihren U-Bahn-Waggons zu kämpfen. Mehrere Dutzend Wagen stehen deshalb zur Reparatur in der Werkstatt in Fröttmaning - und somit nicht dem Betrieb im Untergrund zur Verfügung. Zugausfälle und Verspätungen sind an der Tagesordnung. Viele Fahrgäste sind genervt. Eindrücke aus dem morgendlichen Berufsverkehr:

6.08 Uhr, Richard-Strauss-Straße

Die Anzeige über den Köpfen der Fahrgäste listet die nächsten Bahnen auf: Eine U 4 kommt in zwei Minuten, eine weitere in zwölf - die nächste aber erst in 32. Ein Mann warnt seine Frau per Handy vor: "Da ist schon wieder der Wurm drin! Geh' lieber früher los!" Das Laufband in der Anzeige erläutert: "Wegen einer technischen Störung kommt es zu Unregelmäßigkeiten im Fahrplanablauf."

6.29 Uhr, Giselastraße

Die U 6 nach Garching ist bereits gut gefüllt; fast alle Sitzplätze in den hinteren Waggons sind besetzt. Stehplätze gibt es noch reichlich. "Ich fahr' extra früh am Morgen los, da ist es noch nicht so eng in den Waggons", sagt ein Mittfünfziger.

6.40 Uhr, Olympia-Einkaufszentrum

Ein U-Bahn-Fahrer steht am Ende des Bahnsteigs bereit - und steigt am Zugende der gerade eingefahrenen U 3 ein. So sitzt er zwei Stationen später, an der Endstation in Moosach, gleich richtig, um den Zug ohne längeren Aufenthalt in die Gegenrichtung zu steuern. Tatsächlich verlässt die U 3 nach nur zwei Minuten den Moosacher Bahnhof wieder gen Südost. "Kurzwende" nennt sich das im Jargon der MVG. Mit dieser Maßnahme gewinne man zwei Züge, um sie an anderen Stellen im Netz einsetzen zu können.

7.15 Uhr, Candidplatz

Eine verkürzte U 1 fährt ein. Weil Waggons fehlen, lässt die MVG auf der U 1 seit Jahresanfang jede zweite U-Bahn nur mit zwei statt drei Wagenteilen fahren. Im hinteren Bahnsteigdrittel setzen sich die Fahrgäste in Bewegung. "Das nervt", schimpft eine Dame im Business-Kostüm. "Andauernd musst man rennen, um den Zug zu erwischen." Und dann sei es in den Waggons immer rappelvoll.

7.29 Uhr, Poccistraße

Eine vollgestopfte U 6 gen Norden fährt ein, verzweifelt laufen Fahrgäste am Zug entlang und versuchen, noch ein Plätzchen zu erwischen. "Keine Chance", stöhnt eine Frau. "Ich muss auf die nächste warten." Die steht bereits dahinter im Tunnel - allerdings eine U 3. "Die bringt mir nichts", sagt die Frau. "Das geht fast jeden Morgen so." Neulich habe sie sogar zwei Bahnen fahren lassen müssen.

7.33 Uhr, Poccistraße

Schauen Sie mal hier", sagt die Frau und deutet auf den Fahrplan von U 3/6 im Schaukasten. Die Abfahrtszeiten zwischen 7 und 9 Uhr sind rot hinterlegt, darunter steht der Satz: "Achtung, Berufsverkehr! Bitte nutzen Sie, falls möglich, die Fahrten vor oder nach diesem Zeitfenster!" - "Ich muss morgens meine Kinder versorgen", sagt sie. "Ich kann nicht einfach früher aus dem Haus."

8.10 Uhr, Odeonsplatz

Auf dem Bahnsteig von U 3/6 drängeln sich die Menschen. In Richtung Marienplatz sind nur Züge der U 3 angezeigt. Eine Ansage ist zu hören: "Wegen eines Fahrzeugschadens entfällt der nächste Zug der U 6 Richtung Klinikum. Wir bedauern das sehr. Ihre MVG." - "Pfffff", entfährt es einem Fahrgast. "Dass ich nicht lache." Die MVG lässt nach eigener Auskunft ihre Werkstattmitarbeiter Sonderschichten schieben, um die Probleme in den Griff zu kriegen. Wann das sein wird, kann derzeit niemand abschätzen.

8.28 Uhr, Odeonsplatz

Erneut kommt die Durchsage: "Wegen eines Fahrzeugschadens . . .". In der Gegenrichtung ist fast jede U-Bahn dicht gefüllt. Vor allem in den Zügen der U 6 nach Garching drängen sich die Menschen. Das Schild "Bitte nicht dagegenlehnen!" an den Türen der alten U-Bahnen wirkt da wie Hohn - die Leute werden dagegengepresst. Eine Gruppe Jugendlicher schafft es nicht mehr, sich in einen der Waggons zu quetschen. "Bitte zurückbleiben", ruft der Fahrer. Die Tür rauscht zu. "Mann, wir kommen schon wieder zu spät", ruft eine Jugendliche.

8.32 Uhr, Odeonsplatz

Die nächste U 6 nach Großhadern fährt ein. Offensichtlich ist nicht nur ein Zug ausgefallen. Entsprechend überfüllt sind die Waggons. Die Wartenden drängeln trotzdem rein. Eine Tür lässt sich nicht schließen, weil ein Mann samt Umhängetasche noch halb auf dem Bahnsteig hängt. Er muss wieder aussteigen.

8.34 Uhr, kurz vor dem Marienplatz

Der Zug steht im Tunnel und wartet auf die Einfahrt. "Geht gleich weiter", lässt sich der Fahrer vernehmen. In der Enge des Waggons ist die Stimmung angespannt, genauer: gereizt. "Pass' halt auf mit dem Rucksack", blafft ein Herr den jungen Mann vor sich an. "Hätte nicht jeder von Euch so ein Riesentrumm auf dem Rücken, wär' mehr Platz da herin."

9.05 Uhr, Candidplatz

Diesmal fährt ein U-1-Langzug ein. Das Aus- und Einsteigen läuft zügig, auf Höhe der Bahnsteigmitte gibt es sogar noch Sitzplätze. "Manchmal hat man auch mal Glück im Leben", sagt ein junger Mann. Im Frühjahr werde er aber wieder das Fahrrad nehmen. "Die U-Bahn", schiebt er nach, "die kann mich mal."

© SZ vom 17.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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