Bundestagswahl:Unsere große Familienkoalition

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Wie würde es am Frühstückstisch zugehen, wenn es nach den Vorstellungen der Parteien ginge? Schüler machen aus dem Gedankenspiel ein Filmprojekt - und diskutieren bei der Premiere darüber mit echten Politikern

Von Heiner Effern

Max, gerade 18, war Politik bis zu diesem Morgen immer wurscht, sie hatte zwischen Fußball, den Launen von Freundin Anna und anderen Tücken des Alltags keinen Platz. Doch als er so gegen dreiviertel sieben aufwacht, ist alles anders. Plötzlich nimmt er wahr, dass die so ferne Politik auch sein Leben konkret beeinflusst. Wie sehr, das beweist der folgende Tag, den er sechs Mal durchlebt. Jeweils in einer Welt, die nach den Idealen einer der sechs Parteien tickt, die am 24. September in den Bundestag einziehen könnten. Am Ende der daraus entstandenen Kurzfilme soll für das junge Zielpublikum vor allem eine Erkenntnis stehen: Ich gehe zur Wahl, weil das für meine Zukunft wichtig ist.

Im vollen Saal 10 des Mathäser-Filmpalast kommt die Botschaft am Mittwochabend an. Die jungen Premierengäste leiden und lachen mit, als Max sich zwischen sichtbar gemachter Politik und überspitzten Klischees durch den Tag schlängelt. In der Schule etwa, mit maximalem Leistungsdruck am Gymnasium (CDU/CSU, AfD). Mit gemeinsamem Mangold-Kochen (Grüne) und Stuhlkreis mit Sozialpädagogen (SPD) in der Gesamtschule. Auch die Party am Abend unterscheidet sich, bei der FDP trinkt Max mit der versöhnten Anna Sekt (oder Schampus?), bei der Linken rettet er die Beziehung, indem er für seine Freundin Flugblätter verteilt, "eine Soli-Aktion für mittelamerikanische Bauern".

Die Filme dachten sich Schüler des Theodolinden-Gymnasiums, des Jugendhauses Schwabing und Mitglieder katholischer Jugendverbände aus. Der Bund der katholischen Jugend (BDKJ) organisierte das Projekt und setzte es auch um, ohne einen Cent staatliche Förderung. Für die Dreharbeiten engagierte der Verband ein professionelles Filmteam. Das Projekt heißt doppeldeutig "Mut zum Kreuz - Ergreif Partei". Doch herausgekommen sind sechs Streifen, die sich jeder Missionierung enthalten. Auf der Seite www.mut-zum-kreuz.de sind sie kostenlos zu sehen.

Damit die frisch geweckte Lust auf Politik bei den vielen Erstwählern im Saal gleich Nahrung erhält, hat der BDKJ jeweils einen Bundestagskandidaten aller sechs dargestellten Parteien zu einer anschließenden Podiumsdiskusion geladen. Es entspinnt sich eine launige und dennoch informative Diskussion, besonders für die Erstwähler, die nicht scharf auf jedes Detail sind, aber ein Gefühl für die Ideen und Positionen der Parteien gewinnen wollen. Die AfD etwa, erklärt ihr Kandidat Peter Bystron, sei eine Partei, die sich an ältere Menschen wende. Und an solche, die eine klassische sexuelle Präferenz für die Mann-Frau-Beziehung zeigen, am besten in Form einer Familie. Der Rest zeigt sich offen für eine Ehe für alle, naja, außer der CSU. Stephan Pilsinger will nur den klassischen Familien günstigere Steuern gewähren, den anderen mit einer Entdiskriminierung im Personenstandsregister irgendwie entgegenkommen.

Dass sich im Kinosaal zwei Gruppen treffen, die sich sonst eher selten begegnen, inspiriert auch die Politiker. Sie verlassen die Welt der Floskeln immer wieder, und lassen auch manchen Blick hinter die Kulissen zu. Zum Beispiel zeigt sich, dass FDP-Mann Daniel Föst ("Jeder ist der Architekt seines Lebens") und Linken-Kandidat Ates Gürpinar ("Gleiche Chancen für alle") sich privat viel besser verstehen als politisch.

In der Schlussrunde müssen die Kandidaten ein zweiminütiges Überzeugungsgespräch mit einem Erstwähler in einem Aufzug simulieren. Auch das offenbart so einige Charakteristika der Personen und Parteien: Pilsinger von der CSU beschränkt sich auf ein Loblied der von seiner Partei so oft gescholtenen Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Grüne Margarete Bause beschießt die Gesprächspartnerin mit Umwelt-Rettungs-Ideen in zugleich mitreißendem und beängstigendem Stakkato. SPD-Mann Bernhard Goodwin, der sich noch so gefreut hatte, dass sich Max und Anna nur im Film seiner Partei am Ende innig küssen, gesteht, dass er nicht gerne mit fremden Menschen im Aufzug redet.

Und Bystron zeigt, warum die AfD jungen Menschen wenig zu sagen hat. Ihm fällt nicht viel mehr ein als sein Name, sein Familienstand, seine sexuelle Orientierung und sein Beruf. Als er danach abbricht, fragt der Moderator nach, ob das alles sei, was er jungen Menschen zu sagen habe. Daraufhin Bystron: Er sei von dieser bösen AfD, gehe jeden Morgen mit Frauke Petry an die Grenze und schieße dort auf Kinder. Spätestens da geht den Erstwählern auf, dass Politik nicht immer so launig ist wie an diesem Abend.

© SZ vom 23.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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