Buch "Aus der Zuckerfabrik":Dunkle Strudel

(Foto: N/A)

Dorothee Elmiger: "Aus der Zuckerfabrik"

Von Antje Weber

Auf Seite 125, nach der Hälfte des Buchs ungefähr, beschreibt die Ich-Erzählerin, wie sie mit ihrem Verlagslektor in einem kleinen weißen Auto durch München fährt. Der Lektor sagt, bei einer Veröffentlichung ihrer Aufzeichnungen müsse unbedingt "Roman" auf dem Umschlag stehen. Die Ich-Erzählerin antwortet, "Recherchebericht" erscheine ihr geeigneter, da es sich ja um den Bericht einer Recherche handle.

Dorothee Elmigers Buch ist ja nun inzwischen längst erschienen, "Aus der Zuckerfabrik" lautet der Titel, und die Autorin hat sich mit dem Verlag offensichtlich auf einen Kompromiss geeinigt: Es steht überhaupt keine Gattungsbezeichnung dabei. Das ist konsequent, denn leicht einzuordnen ist diese Mischung aus Essay, Forschungsbericht und Memoir nicht. Festhalten lässt sich nur: Erzähltechnisch ist sie ganz auf der Höhe der Zeit. Und: Die Schweizer Schriftstellerin Dorothee Elmiger hat mit ihrem dritten Buch, nominiert für drei große Preise, einen Nerv getroffen.

Wovon das Buch handelt? Vom Zucker, natürlich, aber auch von einem Lotto-König, vom Begehren, vom Hunger eines Ich, gestillt mit viel Material aus der Literatur- und Kulturgeschichte. Alles steht scheinbar ungeordnet nebeneinander, um "Verwandtschaften, Wiederholungen, Parallelen" zu finden, wenn ein Text schon keine Gleichzeitigkeit ermöglicht. Es ist eine raffinierte Konstruktion, Elmiger bezeichnet sie als "dunkle Strudel". In denen sich alles "um ein instabiles Zentrum dreht".

Dorothee Elmiger: "Aus der Zuckerfabrik". Hanser Verlag, 272 Seiten, 23 Euro.

© SZ vom 19.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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