Brief an Seehofer:Libyen forderte Vergünstigungen für Gaddafi-Sohn

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Brief mit brisantem Inhalt: In einem Schreiben von 2010 fordert Libyens Botschafter einen Termin mit Bayerns Ministerpräsident Seehofer - offenbar, um Ermittlungen gegen den in München lebenden Gaddafi-Sohn zu beeinflussen. Unterdessen äußert sich das bayerische Justizministerium zur Vorzugsbehandlung des Diktatoren-Sprösslings bei dessen Einreise.

Christian Rost und Daniel Brössler

Das bayerische Justizministerium will die Verantwortung für den fragwürdigen Umgang deutscher Behörden mit einem Gaddafi-Sohn nicht auf sich nehmen. Das Auswärtige Amt in Berlin habe im Jahr 2007 die bayerischen Behörden schriftlich auf den Ermessensspielraum der Ausländerbehörde bei einer Visumerteilung für Gaddafi hingewiesen, nahm das Justizministerium am Montag zu einem SZ-Bericht Stellung.

Durch die Intervention des Außenamts soll Saif al-Arab Gaddafi, der 2006 im Alter von 24 Jahren von Italien aus mit einem Touristenvisum nach München gekommen war, ohne das sonst übliche Visumverfahren eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr bekommen haben. Das Auswärtige Amt sieht die umstrittene Visumvergabe unterdessen als rein bayerische Angelegenheit an: Die Bundesregierung achte die Unabhängigkeit der bayerischen Behörden und Justiz.

Die Staatsregierung in München hat sich mit Gaddafi junior, der vier Jahre in der bayerischen Landeshauptstadt lebte, offenbar weitaus intensiver befasst als bisher bekannt. So drängte der damalige libysche Botschafter in Berlin zu einem Gespräch mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) über Saif al-Arab Gaddafi. Der Diplomat wollte ganz offensichtlich Ermittlungen gegen Gaddafi beeinflussen.

In dem Schreiben vom 30. März 2010 bat das Büro der Sozialistischen Libysch-Arabischen Volks-Dschamahirija in Berlin in der Staatskanzlei um einen Termin für Jamal El Barag, um "den Vorfall des letzten Dezembers zu besprechen".

Dabei ging es um eine äthiopische Hausangestellte von Saif al-Arab Gaddafi, der sie in seiner Münchner Villa geschlagen und ihr eine Pistole an den Kopf gehalten haben soll. Die Frau hatte gegen Gaddafi bei der Polizei ausgesagt, wollte aber keine Anzeige erstatten. Die Staatskanzlei lehnte eigenen Angaben zufolge ein Gespräch mit dem Botschafter ab. Das Verfahren gegen Gaddafi verlief im Sande.

Der angeblich 2011 in Tripolis getöteten Diktatoren-Sohn wurde während seines Aufenthalts in München von der bayerischen Strafjustiz stets mit Samthandschuhen angefasst: Elfmal wurde gegen Gaddafi ermittelt, von Verkehrsdelikten bis hin zum Verdacht auf Waffenschmuggel oder Anstiftung zum Mord.

Abgesehen von moderaten Geldstrafen für Trunkenheitsfahrten und Fahrens ohne Führerschein wurden sämtliche Verfahren von der Staatsanwaltschaft München I ergebnislos eingestellt.

© SZ vom 17.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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