Brennpunkt Freimann:Sorge vor zunehmender Gewalt

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Die Lage am nördlichen Stadtrand ist brenzlig. Geld für mehr soziale Arbeit soll helfen. Denn wenn die Politik nicht bald handelt, könnte die Situation am nördlichen Stadtrand eskalieren, so die Sorge der Sozialexperten. Doch noch haben sie Hoffnung.

Thomas Kronewiter

Es muss schon fünf vor zwölf sein, wenn Gertrud Reiter-Frick, die Leiterin des Sozialbürgerhauses für Schwabing und Freimann, so deutlich das Bild vom Brennpunkt-Viertel skizziert. Von einer "sehr hohen Interventionsdichte" spricht sie, und meint die klassische Bezirkssozialarbeit ebenso wie die Aktivitäten des Job-Centers und die Zahl der Kinderschutz-Fälle.

Von einigen Hausfassaden bröckelt die Farbe: Sozialwohnungen am Carl-Orff-Bogen. (Foto: SZ)

Selbst drastisch zunehmende Gewalt hält die Sozialexpertin für möglich - politisches Handeln sei dringend geboten, "damit es nicht explodiert" am nördlichen Stadtrand. Elke Stamminger vom Kinderschutz-Verein, der eine Lernwerkstatt initiiert hat, nimmt mutig das Wort von der "Regelförderung" in den Mund - denn das ist es, worum es hier am Runden Tisch im Freizeittreff Lok Freimann geht: Geld für mehr soziale Arbeit, das vor allem regelmäßig fließt und das hilft, die Situation an Heidemannstraße und Carl-Orff-Bogen sowie in der neuen Haidpark-Siedlung nachhaltig positiver zu gestalten.

Regsam, Münchens soziales Netzwerk-Projekt, hat das Freimanner Quartier um den Carl-Orff-Bogen zur Schwerpunkt-Region erklärt - und dass das Moderatoren-Team um Martina Hartmann und ihren Freimann-Spezialisten Dieter Bolzani hier insgesamt drei Jahre eine neue Zukunft für das Viertel anschieben darf, während man etwa die Parkstadt Schwabing schon im September - nach einem Jahr - wieder sich selbst überlassen muss, spricht für sich.

Am nördlichen Stadtrand geht es um mehr als eine Spielaktion und um mehr als einen klassischen Nachbarschaftstreff. Dieter Bolzani, der sich seit 1989 in verschiedenen Funktionen um Freimann kümmert, versucht das den an diesem Tag anwesenden Stadtratsmitgliedern von SPD und Grünen zu verdeutlichen. Beim Rundgang erzählt er von der wunderschönen grünen Mitte des Viertels - die aber rasch eng werde, wenn sich halb Freimann bei gutem Wetter dort treffe.

Er zeigt den "Türken-Tunnel", den Hausdurchgang, den schon vor 15 Jahren eine kleine Gruppe nichtdeutscher Jugendlicher als Revier verteidigt habe - ohne dass diese allerdings groß randaliert hätten. Vom Renovierungsbedarf der zahlreichen Sozialwohnungskomplexe braucht er nicht viel zu sprechen, das sehen die Politiker an abblätternder Farbe und an traurigen Hauseingängen selbst. Und doch haben die Sozialexperten Hoffnung für den Bezirk.

Die Begehrlichkeiten richten sich vor allem auf die Eltern. Sie melden sich inzwischen zunehmend zu Wort, nur heben kann man diese Ressource noch nicht. Denn was tue man, wenn sie in den Freizeittreff kämen, Fragen an die Betreuer hätten oder auch eine Veranstaltung planten? Die Lok, der neue Freizeittreff an der Gustav-Mahler-Straße, ist für Kinder- und Jugendarbeit da. "Man kann sie nicht jeden zweiten Abend für Eltern-Veranstaltungen blockieren", sagen die Betreuer.

Martina Hartmann träumt deshalb von einem Mütterzentrum, von wo aus institutionalisierte Hilfe angefordert werden könnte. Ein Zentrum, das seit wenigen Tagen in greifbare Nähe gerückt ist, seit eine Wohnungsbaugesellschaft signalisiert hat, möglicherweise eine Wohnung, vielleicht sogar einen leeren Laden am Heidemarkt zur Verfügung zu stellen. Von dort aus ließe sich Engagement bündeln, wenn man wenigstens eine Halbtagsstelle zuschalten würde.

Auch die frisch zugezogenen Mütter der Haidpark-Siedlung, die derzeit in ihrer Verzweiflung bis ins Laimer Mütterzentrum fahren, hätten dort Anschluss. Und man könnte sich auch wappnen für die Zeit, da Funk- und Bayern-Kaserne bebaut und besiedelt sind. Dass die Bayern-Kaserne mittlerweile mitunter mehr Flüchtlinge aufnehme als die Erstaufnahmeeinrichtung an der Baierbrunner Straße, hat die Situation in Freimann in Reiter-Fricks Augen "nicht einfacher gemacht".

Andererseits lässt die Verwertung der Bayern-Kaserne auch ganz neue Gedankenspiele zu. Sozialplaner Alexander Wunschmann hat die Absicht, dort eine Grundschule zu bauen, und die seit drei Jahrzehnten am Heidemarkt geplante Realschule in ein gemeinsames Denkmodell gepackt. Dass man beides "in sinnvoller Weise" in einem Bildungs-Campus zusammenfassen könnte, hält er nicht für ausgeschlossen. Die sogenannte E-Fläche zwischen Carl-Orff-Bogen, Gustav-Mahler-Straße und Paul-Hindemith-Allee sei für reformpädagogische Schulbauten zwar zu klein, gießt ihm spontan Grünen-Stadträtin Jutta Koller Wasser in den Wein. Doch Wunschmann betont, dass seine Behörde bei der Entwicklung der Bayern-Kaserne seit dem ersten Tag an Bord sei.

Und die ganze für Freimann gedachte Infrastruktur müsse nicht unbedingt ins Neubauquartier. Das wäre sicherlich nicht bloß die kleine Lösung, die Hartmann und Bolzani mit ihrem Mütterzentrum ins Auge gefasst haben. SPD-Stadtrat Christian Müller ist bemüht, die Bäume nicht in den Himmel wachsen zu lassen. "Wir haben kein Füllhorn, aus dem wir einfach ausschütten können." Es gelte, Schwerpunkte zu setzen. So sei die Kindertagesbetreuung so weit oben auf der Agenda des Stadtrats, dass "das Meiste wohl machbar" sei.

Bei anderen Vorschlägen gelte es, kreative Lösungen zu finden. Damit zielt Müller explizit auf die von Anwohnern der Haidpark-Siedlung gewünschte Fußgängerbrücke über die U-Bahn ab, die den Weg zu Schule und Freizeitheim auf drei bis fünf Minuten verkürzen und deutlich sicherer machen würde. "Die Brücke springt in den nächsten fünf Jahren sicher nicht aus dem Gebüsch", sagt Müller. Gülseren Demirel, Stadtratsmitglied der Grünen, erkennt ebenfalls das hauptsächliche Handlungsfeld auf dem sozialen Sektor. Und sie sieht sich bei der vor wenigen Jahren im Rathaus beschlossenen Neuausrichtung des Netzwerkprojekts Regsam bestätigt, das sich seitdem verstärkt um Brennpunkte kümmern soll.

Mit Einbeziehung der freien Träger kämen ganz tolle Sachen zustande, freut sich Demirel. Diese Arbeit sei aber nur so erfolgreich, weil Regsam die Vernetzungsstrukturen über Jahre habe aufbauen können.

© SZ vom 13.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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