Bogenhausen:Zeit für die Zukunft

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Die Berufsschule für Berufsvorbereitung ist ein Hort für Jugendliche, die noch keinen Ausbildungsplatz haben oder erst ihren Mittelschulabschluss absolvieren wollen. In der Fahrradwerkstatt oder im Café lernen sie die Arbeitswelt kennen

Von Hannah Schuster, Bogenhausen

Im Leben läuft nicht immer alles nach Plan. Vor allem dann nicht, wenn man noch jung ist und gar nicht weiß, wie die Zukunft aussehen soll. Schule, Ausbildung, Beruf, nicht immer klappt diese Reihenfolge reibungslos. Dejan zum Beispiel ist 17 und hat nach seinem Mittelschulabschluss keinen Ausbildungsplatz gefunden. Vanessa ist mit 16 von der Mittelschule geflogen, weil sie zu viele Fehlstunden hatte. Und Jomana hat wegen eines Umzug von Leipzig nach München zu viel Schulstoff verpasst, um auch in Bayern wieder auf eine Realschule gehen zu können.

Alle drei besuchen jetzt die Berufsschule für Berufsvorbereitung in Bogenhausen, die sich kürzlich bei einem Tag der offenen Tür vorgestellt hat. Rund 1700 Schüler aus der ganzen Stadt werden derzeit dort unterrichtet. In Bayern besteht nämlich insgesamt zwölf Jahre Schulpflicht. Für Mittelschüler heißt das, nach neun Jahren auch noch drei Jahre neben der Ausbildung eine Berufsschule zu besuchen. In Bogenhausen gehen aber die Jugendlichen zur Schule, die keinen Ausbildungsplatz gefunden oder eine Ausbildung abgebrochen haben, die große Wissensdefizite haben, erst Deutsch lernen müssen, oder aber auch Schüler, die dort erst ihren Mittelschulabschluss machen wollen.

Schrauben mit Anleitung: Die Berufsorientierung fällt leichter, wenn man schon einmal erste Eindrücke gesammelt hat. (Foto: Stephan Rumpf)

Dabei setzt die Berufsschule am Bogenhauser Kirchplatz, die "Boki", seit 20 Jahren auf ein besonderes Konzept: den sogenannten produktorientierten Ansatz nach dem Münchner Modell. Die Jugendlichen wickeln im Unterricht konkrete Kundenaufträge von Anfang bis Ende ab und machen so praxisnahe Berufserfahrungen. Die Schule betreibt beispielsweise das Café im Pädagogischen Institut des Referats für Bildung und Sport, aber auch eine hauseigene Fahrradwerkstatt. Die Dienstleistungen sind nur für städtische Mitarbeiter zugänglich, um realen Betrieben keine Konkurrenz zu machen.

"Das Fachliche steht auch gar nicht so im Vordergrund", sagt der stellvertretende Schulleiter Bogoslav Petan, "wir bilden hier ja nicht aus". Petan ist seit fast 17 Jahren an der Schule und kennt deshalb das Konzept fast von Beginn an. Die Schüler lernen dort auch erst einmal soziale Kompetenzen wie Pünktlichkeit, das Grüßen oder den Umgang mit Kunden. Dabei ist auch eine Beziehung zueinander wichtig: "Ich kenne die Schüler, und sie kennen mich", sagt Petan. Und so fließen am Schuljahresende auch schon mal Tränen, wenn die Jugendlichen dann ihren Weg weitergehen, erzählt er. Dabei ist die Quote gut: Viele finden in der Zeit an der Berufsschule nämlich tatsächlich einen Ausbildungsplatz.

Eigene Klamotten schneidern: Die städtische Berufsschule zur Berufsvorbereitung in Bogenhausen bietet Orientierung für einen späteren Berufsweg. (Foto: Stephan Rumpf)

Dejan zum Beispiel wird jetzt von September an eine Ausbildung zum Verfahrensmechaniker machen. Am Tag der offenen Tür steht er mit schwarz verschmierten Händen in der Fahrradwerkstatt und werkelt an Felgen, Zahnkränzen und Reifen. Er erzählt von einem Lehrer, der mit ihm zusammen Bewerbungen geschrieben hat: Manchmal sei der Lehrer deswegen extra zwei Stunden länger geblieben, manchmal ist Dejan aber auch zwei Stunden vor dem Unterrichtsbeginn gekommen. Es gefällt ihm hier, "es wird auch viel mehr Rücksicht genommen", sagt er. Das erzählt auch die 16-jährige Jomana: "Ich hab' Mathe eigentlich nie verstanden, aber der Lehrer erklärt es hier so lange, bis es alle verstehen."

"Ich kann mir hier halt auch einfach mal Zeit nehmen", sagt Petan. Die Schule gibt den Schülern aber nicht nur Zeit, um zu lernen, sondern auch, um sich zu entscheiden. Ein Jahr, um sich auf das Berufsleben einzustellen und um sich zu orientieren. "Mit 15 ist es legitim, nicht zu wissen, was man will", meint Petan, "ich sehe, dass die Jugendlichen noch ein Jahr brauchen, um zu reifen". Natürlich gebe es auch "schwierige Schüler", aber jeder Lehrer komme freiwillig und gerne an die Schule.

Wie viel Zuckerwürfel stecken in einer Flasche Ketchup? Lebensmitteln auf der Spur sind Schüler der städtischen Berufsschule in Bogenhausen. (Foto: Stephan Rumpf)

Einer der Lehrer ist erst seit Kurzem hier, er hat vorher an einer gewöhnlichen Berufsschule unterrichtet und sieht deutliche Unterschiede. "An der alten Schule hatten alle einen Ausbildungsplatz und wussten, um was es geht", sagt er. An der Berufsschule für Berufsvorbereitung hingegen "kommen sie frisch aus der Mittelschule, haben keine beruflichen Erfahrungen und wollen eigentlich ihre Ruhe." Die Schüler müssen deshalb motiviert werden, so dass sie auch ein Interesse an einer Ausbildung entwickeln. Dejan kann das bestätigen und gibt zu: "Damals habe ich mich gar nicht so ins Zeug gelegt wie jetzt." Den Grund für diesen Motivationsschub sieht Petan auch im Konzept der Schule, nämlich reale Ergebnisse zu produzieren: "Die Schüler sehen so die Sinnhaftigkeit in ihrem Tun". Neben Café und Fahrradwerkstatt gibt es beispielsweise auch Klassen für Metall- und Fahrzeugtechnik, im Pflegebereich und für den Gartenbau; Schülerinnen haben aber auch Unterricht im Modedesign und schneidern eigene Klamotten. Es soll auch Spaß machen: "Hier lacht man auch einfach mal viel", sagt Jomana und grinst in Richtung einer Lehrerin.

© SZ vom 02.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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