Sie war Ideengeber. Ob braun oder schwarz gescheckt - das tut nichts mehr zur Sache. Jene Kuh weidete einfach nur auf einer Wiese. Zupfte Grashalm um Grashalm. Schleckte sich mit der Zunge das Maul. Die Ohren immer in Bewegung. So wie der Aktionskünstler und Film- und Theaterregisseur Christoph Schlingensief (1960-2010), der Mann, der stets nur eine Kunst sichtbar machen wollte, die lebte. An jenem Tag im Jahr 2001, als die Kuh auf dieser Wiese weidete, hielt Schlingensief dort eine kurze Siesta. Um sich vorzubereiten auf einen Vortrag zusammen mit Joseph Beuys' Meisterschüler Johannes Stüttgen zum Thema "Kunst und Kapital". Er beobachtete die Kuh. Lang und genau. Entdeckte die Kraft der Wiederholung, die Macht im Kleinen. Aus dem Weiden wird ein Werden, die Kuh zum Kapital. Stüttgen zeichnete damals einen Kreide-Kreislauf auf eine Tafel, Schlingensief überzeichnete Stüttgens Kreis mit einem Koordinatensystem, basierend auf der Gleichung Kuh = Kapital.
Dass der Kunstraum Bogenhausen in seiner neuen Ausstellung "Small is beautiful - Kunst und Kapital" beide Tafeln zeigt und durch eine weitere, ganz neue des heute 74-jährigen Künstlers Johannes Stüttgen ergänzt, ist eine Fügung, die Kunst, ganz im Sinne von Beuys (1921-1986) und Schlingensief, lebendig und immer neu werden lässt. Das gelingt der ganzen Ausstellung, die sich mit Arbeiten von acht Künstlern (mit Leihgaben der Galerie Klüser, von Max Weber Six Friedrich und aus der Sammlung Maaß/Lukas) an der Debatte nach neuen sozialpolitischen Modellen beteiligt, auf sehr subtile Weise.
Schon seit zwei Jahren spukt in den Köpfen von Kunstraum-Gründerin Angelika Bartholl und Kuratorin Brigitte Martin die Idee herum, sich auf künstlerische Weise der Frage anzunähern, wie eine nachhaltige Veränderung der Welt aussehen könnte, die den Menschen erträgt, welche Denkansätze es gibt, die eine Innenschau überhaupt erst möglich machen. Die Basis der Werkschau, fast ein Muss, ist eine weitere Formel: die von Joseph Beuys 1983 in der New Yorker Subway plakatierte Botschaft Creativity = Capital. "Das", so sagt Bartholl, "war das Ausgangswerk". Und es rückt den inhaltlichen Schwerpunkt der Ausstellung gleich zurecht. Es geht nicht mehr um die Macht des Geldes, um sichere Anlagen, die den Gewinn multiplizieren. Es geht um den Menschen. Einzig und allein. Er muss sich aufmachen, Veränderung zulassen. So wie Beuys bei der Documenta 1971 große Plastiktüten verschenkt ("So kann die Parteiendiktatur überwunden werden"). In sie könnten die Menschen das einpacken, was sie ausmacht. Das Wertvollste zum Beispiel - den freien Geist.
Auch in Stüttgens kolorierten Skizzen beginnt die Veränderung generell bei der Freiheit der Gedanken. Ob am Schreibtisch oder auf dem Gipfel eines Berges ("Tafelzeichnung", 2016) - nur in der Freiheit kann der Blick in sich selbst und Veränderung gelingen. Angelika Bartholl nennt das "Umstülpung". "Erst wenn das passiert", sagt die Künstlerin, "ist Neues möglich." Ihre Art, das Gedachte festzuhalten, sind viele Zettel mit Begriffen wie Rebellion, Europa, Verzicht oder "Ich". Ihnen, wenn sie sie spontan neu mischt, stellt sie immer neue Kräfte gegenüber, schafft daraus Gedankenskizzen. Wie jene Arbeit, die die Zahl Null in den Fokus rückt. Der Nullpunkt ist erreicht. Ein neues Weltabkommen ist bitter nötig.
"Small is beautiful" - ein Satz des britischen Ökonomen Ernst Friedrich Schumacher (1911-1977) - ist der Titel der Ausstellung. Nicht ohne Grund. Denn die von Schumacher so dringlich geforderte Rückkehr zum menschlichen Maß eint letztlich alle Arbeiten. Es geht um das Kleine in uns. Und das Kleine, das sich dem Großen, dem Schnellen der Zeit, dem Plakativen entgegenstemmt. "Es geht um das kleine Wunderschön", wie Bartholl zusammenfasst. Um die Suche nach dem Inneren. Imi Knoebel gibt dem Glück einfach Farbe ("Pure Freude", 2001). Leuchtend legen sich Rechtecke übereinander. Und der Betrachter spiegelt sich im Bild, wird plötzlich Teil jenes Farbgefühls. Blinky Palermo (1943-1977), wie Imi Knoebel Beuys-Schüler, reduziert noch einmal: Das Glück könnte aus zwei roten Siegeln (1970) bestehen, die einen schwarzen Punkt fast magisch an den Bildrand ziehen. Und Ena Oppenheimer taucht sogar ein in das Nichts. Sie gibt in ihren Ölarbeiten der dunklen Materie eine Form, das Nichts wird zur Wirklichkeit. Es wird klein, verdichtet sich, wird groß. Und immer größer. Wie eine Vision, ein schneller Gedanke, der bewegen kann. Wie das Fiepen der beiden Überwachungskameras, die Aram Bartholl einfach auf den Boden gelegt hat. Sie verfolgen einäugig den Weg der Betrachter, geben Töne von sich und scheinen sich dem Menschen auf fast menschliche Weise anzupassen. Und umgekehrt?
Diese fein strukturierte Ausstellung, die aber keineswegs verkopft daherkommt, macht etwas mit einem. Denn sie macht schwer zu Fassendes leicht: Kapital ist nichts Ökonomisches mehr. Es ist das, was den Menschen aus- und erfüllt. Bewegen, verschieben wir es oder sortieren es mutig ganz neu, könnte Nachhaltiges in der Welt geschehen. Das übrigens auch die Fähigkeit mit einschließt, zu träumen. Auf einer Wiese vielleicht.
"Small is beautiful": bis 24. Mai, Kunstraum Bogenhausen, Ismaninger Straße. 106. Besuchszeiten nach Vereinbarung, Telefon: 0176/80 13 94 31. Finissage am Freitag, 24. Mai, 19 Uhr.