Biotop oder Denkmal:Ein tierisches Dilemma

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Auf dem Gelände des ehemaligen Ausbesserungswerks in Freimann konkurrieren zwei Kulturgüter: Ein Denkmalgebäude soll geschützt werden, aber an dieser Stelle ist auch ein Biotopverbund vorgesehen

Von Stefan Mühleisen, Freimann

Es kommt vor, dass Denkmalschutz-Bestimmungen Bauherren einen gehörigen Strich durch die Investment-Rechnung machen. Die behördlichen Hüter der historischen Bausubstanz können mit ihrer Expertise einen Abriss durchaus abblasen. Nun zeigt ein Fall in Freimann, dass geschützte Architektur-Monumente auch die Natur in der Stadt in ihre Schranken zu weisen vermögen.

Unmittelbar betroffen ist dabei eine Schar Zauneidechsen auf dem Gelände des ehemaligen Bundesbahn-Ausbesserungswerks zwischen Lilienthalallee und Maria-Probst-Straße, ein 21 Hektar großes Entwicklungsgebiet mit riesigen Industrie-Relikten. Ihr Lebensraum wird wohl nicht so üppig werden, wie geplant. Denn das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege hat auf dem Areal jetzt nachträglich eine Halle, die ehemalige Lehrlingswerkstätte, unter Schutz gestellt. Gemäß dem Bebauungsplan sollte das Gebäude abgerissen werden und einem durchgängigen Biotopverbund weichen - auch, weil dort Zauneidechsen leben, eine nach Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützte Tierart. Ein kurioser Fall - denn hier konkurrieren zwei Kulturgüter: Denkmal erhalten oder Naturraum ausbauen?

Dabei hat der Mensch die Tiere und Pflanzen 20 Jahre lang nicht daran gehindert, sich das Gelände zurückzuerobern. Vor 100 Jahren liefen dort die Bayerischen Geschützwerke der Firma Krupp auf Hochtouren; dann wurde es zum Gelände für die Reichsbahn, zum "Ausbesserungswerk". Das blieb es auch nach dem Krieg für die Bundesbahn - bis das Gebiet Mitte der Neunzigerjahre aufgegeben wurde.

Die Verwertungsgesellschaft, die heute CA Immo heißt, suchte lange vergeblich nach einem Investor. Das Problem: Die riesige Dampflok-Richthalle ("Lokhalle") ist ein geschütztes Denkmal und nicht ohne immensen Aufwand umnutzbar. Alle Ideen - Kulturzentrum, Schwimmbad, Modezentrum - scheiterten, bis Andreas Dünkel, schwäbischer Investor, und die Bauhaus-Kette sich meldeten. Dünkel baut nun für 85 Millionen Euro den Südteil der Halle zur "Motorworld" um, ein Indoor-Erlebnispark für Autofans; Bauhaus nutzt den Nordteil als Baumarkt-Filiale.

Wegen des Schutz-Status der Lokhalle steht ein Biotopverbund auf der Kippe. (Foto: Robert Haas)

Die Stadt pochte auf strikte Einhaltung der Denkmal-Auflagen, ein Teil des Ensembles wurde aber übersehen: Südöstlich der Lokhalle hatten sich in der Halle der ehemaligen Lehrlingswerkstätte und in angebauten Baracken eine Autowerkstatt sowie ein Antikmarkt breitgemacht. Im März dieses Jahres schaltete der Vorsitzende des Bezirksausschusses (BA), Werner Lederer-Piloty (SPD), das Landesamt für Denkmalpflege ein. Oberkonservator Burkhard Körner erkannte die Halle an der Tragekonstruktion als Rest des Krupp-Werks. Nun ist es ein Einzeldenkmal.

Die Halle steht inmitten eines Grünzugs, der sich neben der Maria-Probst-Straße bis zur Heidemannstraße hinzieht. Geplant war, auf diesem Segment ein "hochwertiges und naturschutzfachlich interessantes Konzept umsetzen", wie es im Bebauungsplan-Beschluss heißt. Die Autowelt, so wollten es die Stadtplaner, soll von ökologisch wertvollen Flächen umgeben sein. Das formulierte Ziel: Erhaltung und Verbesserung der Biotopfläche "als wesentliche Voraussetzung zur Entwicklung eines attraktiven und einzigartigen Standortes". Die alte Lehrlingswerkstätte steht dabei im Weg, der Abriss ist Teil des Konzepts. Die Fläche stellt, so steht es in der Stadtratsvorlage, "einen wichtigen Lückenschluss im bestehenden nord-süd-gerichteten Grünzug entlang der Maria-Probst-Straße dar". Überdies leben auch Zauneidechsen auf dem Gebiet, für die der Artenschutz einzuhalten ist. Deren Lebensraum darf gemäß den Richtlinien nicht beeinträchtigt, verschlechtert oder gar zerstört werden.

Das Machtwort der Denkmalbehörde fegt den Lückenschluss vom Tisch - und wirft ein Dilemma auf. "Wir arbeiten an einer Lösung, die sowohl den Belangen des Naturschutzes als auch den Belangen des Denkmalschutzes gerecht wird", teilt Planungsreferats-Sprecher Ingo Trömer mit. Dabei spricht er von einer "wichtigen übergeordneten Grünverbindung", die ohne die Halle verbreitert, sowie Flora und Fauna insgesamt unterstützt werden könnten - auch die Population der Zauneidechsen. "Gleichzeitig sehen wir aber auch den Erhalt des denkmalgeschützten Bauwerks als unbedingt erstrebenswert an."

Ratlos zeigt sich auch der Grundstückseigentümer. "Wir haben hier einen Widerspruch zwischen Denkmalschutz und Naturschutz", sagt CA-Immo-Sprecher Markus Diekow. Man müsse nun Gespräche für eine Lösung führen. Werner Lederer-Piloty, der BA-Vorsitzende, der die Sache erst ins Rollen brachte, hat schon einen Vorschlag parat: "Man könnte die Baracken-Anbauten wegreißen, so bleibt genügend Platz für einen Biotop-Verbund."

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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