Berg am Laim:Weit-Sicht

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Gläserne Schätze: Benjamin Mirwald freut sich über die präzisen alten Fernrohre der Sternwarte. (Foto: Robert Haas)

Benjamin Mirwald ist neuer Leiter der Volkssternwarte an der Rosenheimer Straße. Das Erklären des schier Unerklärlichen ist für den Physiker immer wieder ein besonderes Erlebnis

Von Renate Winkler-Schlang, Berg am Laim

Benjamin Mirwald liebt die Kindergeburtstage und Klassenausflüge mit lauter aufgeweckten kleinen Gästen, die mit offenem Mund staunen und dann viele Fragen stellen. Diese Mädchen und Buben könnten der Nachwuchs sein, der später einmal die Einrichtung mit trägt, die er seit Juli leitet - die Volkssternwarte an der Rosenheimer Straße. An einem Tag ohne Führung komme er zwar zu mehr Schreibtischarbeit, doch es fehle auch etwas. Das Erklären des schier Unerklärlichen ist für ihn selbst immer wieder "ein tolles Erlebnis", sagt der 34-jährige Physiker.

Die Himmelskörper interessierten ihn schon als Kind, ein ernsthafter Sternengucker war Benjamin Mirwald bereits mit 13 Jahren. Das Sachbuch "Safari ins Reich der Sterne" von SZ-Autor Helmut Hornung hatte ihn zu diesem Hobby gebracht erzählt er. In Kelheim, seiner Heimatstadt, besuchte er dann am Gymnasium auch den Astronomie-Wahlkurs. Besonders tolle Fernrohre gab es dort nicht, doch allein mit dem Fernglas könne man ja schon hunderttausend Mal mehr sehen als mit dem bloßen Auge, schwärmt er. Dass er dann noch eine Fotoausrüstung erbte, gab dem Hobby eine neue Dimension. Das hatte auch im Freundeskreis schon etwas Exklusives: "Man konnte sich seine Identität erarbeiten." Solche Sätze zeigen, dass Mirwald die Dinge gerne ganz genau und von allen Seiten betrachtet. Und er sagt auch von sich selbst, dass das ihn antreibe: "Alles hinterfragen, nicht mit dem Schein zufrieden sein", das sei ihm immer wichtig gewesen. Da hat ihn sein Elternhaus geprägt, beide Eltern waren aktiv in der Friedens-und der Umweltbewegung. Auch den Austausch mit anderen schätzt er: Nichts schlimmer als eine Führungsgruppe, in der keiner eine Frage stellt. Schon in der Oberstufe hat Mirwald einen kleinen Verein zur Astronomie-Vermittlung mit begründet, der auch Sponsoren für eine Sternwarte in Kelheim suchte. Mit Erfolg, wie die heutige Donausternwarte zeigt. Ein Grund für ihn, in der Gegend zu bleiben. Doch während des Studiums der Physik in Regensburg war er dann gar nicht so sicher, ob er Astronomie als Schwerpunkt wählen soll.

Benjamin Mirwald sitzt in der vollgestopften und wegen der alten Regalschränke leicht angestaubt wirkenden Bibliothek der Volkssternwarte. Der ideale Rahmen für das, was er nun erzählt. Die Wissenschaftsgeschichte, sein Nebenfach, habe es ihm dann immer mehr angetan - wie haben sie die Leute dazu gekriegt, immer rationaler über die Welt nachzudenken? Auch die Frage, wo Technik hilft, wo sie verantwortlich ist für Probleme, trieb ihn um. Nur durch die Raumfahrt etwa sei die Erdbeobachtung möglich, ohne Wettersatelliten wisse man nichts über die Meeresströmungen. Die naturwissenschaftlich-philosophische Sicht liegt ihm näher als die Visionen vom "Krieg der Sterne".

Mirwald schaffte es, die Astronomie und die Wissenschaftsgeschichte zusammenzubringen: Er promovierte über die Geschichte der Volkssternwarten um 1900. Damals habe es in Deutschland schon mehr als 100 Warten und 200 hobbyastronomische Vereinigungen gegeben: "Sehr spannend", sagt er. Einerseits öffneten sie sich erstaunlich schnell den Frauen, andererseits nutzten sie ihre Kinosäle auch für die Kriegspropaganda. Ihn selbst führte dieses Forschungsgebiet ins Deutsche Museum, wo er in einem Forschungsprojekt die Gründungssammlung zu beschreiben und genauer zu inventarisieren, die Dinge digital zu erfassen und online zu präsentieren hatte. Zweieinhalb Jahre war er dort, als Freunde ihn auf die Ausschreibung für die Leitung der Volkssternwarte als Nachfolger von Peter Stättmayer aufmerksam machten; Stättmayer leitete die Sternwarte seit 1990, arbeitete Mirwald ein und hilft auch heute noch mit. Er selbst hatte bis dahin keinen Kontakt zum Trägerverein. Dennoch erscheint sein Lebenslauf perfekt für diese Aufgabe in der Volkssternwarte an der Rosenheimer Straße - und sie perfekt für ihn. Es scheint, als gehöre der uneitle, freundliche junge Mann mit dem Pferdeschwanz und dem unspektakulären T-Shirt genau hierher - in diese Bibliothek, in dieses Büro, auf diese Aussichtsplattform mit den ehrwürdigen alten Teleskopen, eines davon sogar unter einer verschiebbaren alten Holzkuppel. Hier ist er in seinem Element. Die Optiken zu ersetzen wäre ein Frevel, sagt er. Was habe man schon davon, modern zu wirken? Im Gegenteil: Er will gerne diese präzisen alten Fernrohre mehr in den Fokus rücken, "diese Schätze müssen wir zeigen".

Sein Alltag besteht aus den Führungen, aus der Außendarstellung der Sternwarte, dem Planen von Vorträgen, Kursen, aber auch aus Anfragen "von Leuten, die am Himmel was gesehen haben". Einen Ort schaffen, an dem die rund 500 Mitglieder des Trägervereins, die Teleskop-Selbstbaugruppe, die Besucher und die Zuschussgeber gleichermaßen beglückt sind, an dem Laien Kontakt bekommen zur fachlichen Astronomie, das will er: Genau die Vermittlerrolle liegt ihm - viel mehr als abgehobene Diskussionen um ihrer selbst Willen: "Man muss nicht ständig nach außerirdischem Leben suchen."

Fiele jetzt eine Sternschnuppe, und er dürfte sich etwas wünschen, was wäre das? Mirwald lacht: "Ich sehe da keinen Mechanismus. Aber ich will mich vor solchen Gedanken nicht drücken." Ein neuer Standort stehe jedenfalls nicht auf dem Zettel. Im vergangenen Jahrhundert war noch die Messestadt im Gespräch, man hoffte auf weniger Lichtverschmutzung. Doch das stimmt heute nicht mehr, die Rosenheimer Straße liegt zentral, die Plattform auf einem ehemaligen Bunker ist optimal erschütterungssicher, die Exponate sind auf die Größe dieser Räume abgestimmt. Und Geld für eine neue Anlage hätte sowieso niemand. So wird ein wenig verschönert und manches technisch aufgerüstet.

Konkurrenz vom Deutschen Museum oder dem künftigen Supernova-Astrozentrum in Garching fürchtet Mirwald nicht. Eher eine Belebung des Geschäfts, gute Zusammenarbeit, Austausch und Vernetzung. Und darauf freut er sich.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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