Berg am Laim:Aufbruch in die "neue Welt"

Lesezeit: 2 min

"Komplizierte Situationen können wunderbare Lösungen bringen": Architekt Johannes Ernst erklärt die Baupläne fürs Werkviertel. (Foto: Catherina Hess)

Onkel und Tante, Aufsichtsräte und Anwälte reden mit: Es ist nicht einfach, neun Eigentümer unter einen Hut zu bringen. Doch nun sind die Pläne für das Werksviertel fertiggestellt

Von Renate Winkler-Schlang, Berg am Laim

Eine Werksviertel-Führung ist für den Architekten Johannes Ernst und den Projektenwickler Eric Heppt Routine, die sie kenntnisreich und charmant erledigen. Immer wieder erklären die beiden interessierten Gruppen, wie sie die Industrie- und Amüsierflächen zwischen Frieden-, Rosenheimer und Aschheimer Straße in ein attraktives Quartier verwandeln wollen. Die Führung für Mitglieder des Wirtschaftsforums der Sozialdemokratie am Donnerstagabend war dennoch etwas Besonderes, denn dieser Kreis legte, so die Vorsitzende Hildegard Kronawitter, Wert auf Informationen aus unternehmerischer Sicht. Ergänzt wurden die Erklärungen der beiden Redner durch die Erinnerungen der früheren Stadtbaurätin Christiane Thalgott, die ebenfalls hatte sehen wollen, wie es vorangeht hinterm Ostbahnhof.

"Die neue Welt", so nennt Eric Heppt das, was kommen soll. Vor dem Modell dieser "neuen Welt" im "Eckhaus" an der Grafinger Straße erfuhren die Teilnehmer, warum es mehr als zwei Jahrzehnte brauchte, bis 2016 der neue Bebauungsplan in Kraft treten und damit neues Baurecht geschaffen wird - obwohl etwa Pfanni seine Produktion doch bereits 1993 nach Ostdeutschland verlegt hatte.

Hier habe man es nicht mit einer Fläche und einem klassischen Investor zu tun, sondern mit neun sehr unterschiedlichen Eigentümern. Darunter seien Familienbetriebe wie die früheren Pfanni-Eigentümer Eckart oder die Betreiber des Großmarktes Hamberger, die, so Ernst, "schon sehr emotional an der Scholle hängen, aber auch ein weltweit tätiges Elektronik-Unternehmen wie Rohde und Schwarz, das anfangs nicht wusste, wie viele Flächen es noch für eine Firmenerweiterung brauche und wie viele es für neue Infrastruktur abgeben könne. Und da sind auch die Stadtwerke oder die Telekom. Jeder der Partner habe intern eigene Entscheidungsstrukturen, bei den einen reden Onkel und Tante mit, bei den anderen ein Aufsichtsrat. Jeder habe zu jeder der nun fast 100 Projekt-Sitzungen seinen Anwalt mitgebracht. Monate habe es allein gebraucht, um Fragen des Erbrechts und des Immobilien-Steuerrechts zu klären. "Es war nicht nur eine Frage, ob sie wollen", erinnerte sich Thalgott.

Dass sie wollen, hat viel mit der ansteckenden Begeisterungsfähigkeit von Johannes Ernst zu tun, der sicher ist: "Komplizierte Situationen können wunderbare Lösungen bringen." Offenbar gehört es im Werksviertel dazu, aus jeder Not eine Tugend zu machen: Hamberger wollte bleiben, obwohl er auf dem zuerst geplanten Park steht und obwohl er viel Verkehr bringt. Die Zufahrt zum Hamberger wird nun verlegt und später kaum stören. Der Park wird auch verlegt, bekommt so den alten Pfanni-Schornstein als interessanten Mittelpunkt. Um ihn gruppieren sich die Wohnungen, unter ihnen mehr große, familiengerechte, als sonst in der Stadt. Zudem verläuft die U-Bahn unterm Viertel, deren Trasse ist offenbar nicht sehr tragfähig: Also wurde sie zur gebogenen grünen Achse, bringt so Pepp ins geradlinige Konzept. Vieles wird auch aus der "alten" in die "neue Welt" mitgenommen: Einzelne Pfanni-Werke werden zu Lofts oder Gründerbüros, das Kartoffelsilo, heute Kletterhalle, wird zum Unterbau von Jugendherberge und Hotel. Die Zuhörer sind angetan und überzeugt davon, dass hier "Geschichte lebt und Zukunft entsteht". Nur der Ostbahnhof sei "eine Rumpelbude", so Thalgott. Johannes Ernst ist sicher, dass die Bahn langfristig für einen guten Zugang sorgen müsse. Fertig, so sagt er, werde und solle das Werksviertel ohnehin nie sein. Aber lebendig.

© SZ vom 27.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: