"Das Berchtesgadener Land sperrt zu" vom 21. Oktober:
Lang ist's her, da galt die Daumenschraube als probates Mittel, um der Wahrheit auf die Sprünge zu verhelfen. Das hilft vielleicht auch bei der Wahrheitsfindung in einer Pandemie, wenn die Ansteckungsrate zu hoch wird. Das dachte sich wohl der Ministerpräsident in München, und als es im Landkreis Berchtesgadener Land mit der Sieben-Tage-Inzidenz dann so weit war, empfahl er seiner Landwirtschaftsministerin, die hier im Landkreis wohnt, das bewährte Instrument aus dem Mittelalter. Dass der dortige Landrat bei der Pressekonferenz das Unwort aus der Folterkammer verwandte, war in München natürlich nicht vorgesehen.
Sei's drum, der ganze Landkreis fühlt sich jetzt in einem Versuchslabor für Bayern, ein Labor für die ganz harte Tour. Die Hotels und Gaststätten sind zu, die Gäste unverzüglich heimgeschickt, die Geschäfte sind leer, Kitas und Schulen geschlossen und Besuche in Alten-, Pflege- und Behindertenheimen verboten. Die Ministerin verlas dann noch, was ab 21. Oktober Sache ist: Im gesamten Landkreis müssen sämtlichen Freizeiteinrichtungen geschlossen werden, insbesondere Sauna- und Badeanstalten, Kinos, Tagungs- und Veranstaltungsräume, Clubs, Bars und Diskotheken, Spielhallen, Theater, Vereinsräume, Bordellbetriebe, Museen, Stadtführungen, Sporthallen, Sport- und Spielplätze, Fitnessstudios, Bibliotheken, Wellnesszentren, Thermen, Tanzschulen, Tierparks, Vergnügungsstätten, Wettannahmestellen, Fort- und Weiterbildungsstätten, Volkshochschulen, Musikschulen und Jugendhäuser, Jugendherbergen und Schullandheime.
Vorsorglich wurde uns allen noch angekündigt, Zuwiderhandlungen würden streng bestraft, die Polizei für die Kontrollen werde aufgestockt.
Diese Verfügungen bedeuten: Das Berchtesgadener Land wird zum Versuchslandkreis, welche wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden ein zweiter Lockdown innerhalb eines halben Jahres anrichtet: Was geht kaputt, wenn noch einmal alles zugemacht wird. Wir im Berchtesgadener Land haben jedenfalls das Gefühl, die in der Staatskanzlei glauben wohl, so etwas mit einem kleinen Landkreis im letzten Zipfel des Landes machen zu können.
Ulrich Scheuerl, Bad Reichenhall